Das Hiroshima-Tor
beängstigender Konzentration zu. Es war erstaunlich, wie stark sie reagierte.
Die Form ihrer Augenbrauen und Wangenknochen verliehen ihr jetzt etwas Wolfsartiges.
Timo nahm die Unterlagen aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Soile hat im CERN Kopien von Texten gemacht, die mit
Nishikawa zu tun haben. Ich will wissen, ob man daraus auf Nishikawas Spezialgebiet schließen kann. Aus welchem Blickwinkel
und mit welchem Ziel hat er sich mit den Antiteilchen beschäftigt?«
»Diese Unterlagen enthalten keine Einzelheiten«, sagte Heli.
»Woher weißt du das?«
Der Form halber blätterte sie in den Kopien. Timo sah, dass ihre Hände zitterten.
»Heli, was ist los?«, flüsterte er.
»Nichts. Ich habe bloß nichts Richtiges gegessen.«
Sie überflog die Unterlagen, dabei fixierte Timo ihr glühendes Gesicht und die brennenden Augen. Er sah einen Menschen, der
vollkommen in Flammen stand.
»Es besteht der dringende Verdacht, dass Nishikawa irgendetwas im Zusammenhang mit Antimaterie auf die Spur gekommen ist«,
sagte Timo. »Und deswegen ermordet wurde.«
Heli blickte von den Kopien auf. »Du vermutest also, dass es irgendwo auf der Erde Antimaterie gibt ... entweder von uns hergestellt – oder von anderen.«
Sie traf den Kern der Sache, ohne Umschweife. In ihrer Stimme lag kein Hauch von dem Spott, den Soile über ihn ausgeschüttet
hatte. Heli schien aufrichtig erschüttert. Ihre Reaktion beunruhigte und erleichterte Timo zugleich.
»Ich habe eine Theorie«, wagte er sich weiter vor und senkte dabei die Stimme. »Ich weiß, sie ist lächerlich, aber sie wird
bislang von allen Fakten gestützt ... Jemand hat Überreste eines Lotgeräts oder eines Raumschiffs gefunden, das vor Zeiten der Erde einen Besuch abgestattet
hat, und etwas, das mit Antimaterie zu tun hat. Mit der Untersuchung des Ganzen war Nishikawas |377| Physikerteam befasst. Moskau hat einen Hinweis auf den Fund bekommen, ebenso die Amerikaner, die ihn aus irgendeinem Grund
damals nicht aufspüren konnten. Jetzt ist alles – warum auch immer – wieder ans Tageslicht gekommen, und die Amerikaner versuchen
erneut, den Fund in ihre Hände zu bekommen. Der einzige Hinweis, den sie haben, ist das KG B-Material , das in der Seine gelandet ist.«
»Keine schlechte Theorie, aber falsch«, lautete Larvas Kommentar.
Timo musterte sie forschend. »Woraus schließt du das?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß, dass die Herstellung von geringsten Mengen Antimaterie mit moderner Technik extrem aufwendig ist«, sagte Timo.
»Aber eine technisch weiterentwickelte Kultur ...«
»Die Mengen, die man herzustellen in der Lage ist, sind gering, aber aus der Sicht von Waffenkonstrukteuren, die ihre Seele
an den Teufel verkauft haben, braucht man auch nur verschwindend geringe Mengen. Und glaub mir, solche Wissenschaftler sind
bloße Befehlsempfänger. Willenlose Helfershelfer, ohne jedes Verantwortungsbewusstsein. Denk nur an die Wissenschaftler, die
Senfgas oder biologische Waffen hergestellt haben! Oder an die Knechte der Atomindustrie, die mit der Planung eines unterirdischen
Endlagers ...«
Timo hatte beschlossen, den Fall Olkiluoto nicht mit dieser Diskussion zu vermengen, aber jetzt konnte er sich eine Frage
nicht verkneifen: »Weißt du etwas über die Sabotage?«
»Warte«, sagte Heli, die ihm konzentriert in die Augen schaute. »Genau
hier
könnte etwas verborgen sein ...«
»Wo?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Wenn wir Idioten Atommüll im Grundgestein begraben, muss über der Erde ein dauerhaftes Zeichen
für die Gefährlichkeit des Materials aufgestellt werden, damit auch in Hunderten von Jahren niemand aus Versehen in den Müllkapseln
herumstochert ...«
Timo wurde aufmerksam, weil Larva nun geradezu wie elektrisiert |378| war. Außerdem brachte ihm der Inhalt ihrer Worte aus irgendeinem Grund die Pyramiden von Giseh und die Stimme Bronisław Zeromskis
in den Sinn:
Niemand schichtet nur zum Spaß fünfzehn Millionen Tonnen Steine aufeinander
.
»Und weiter?«, fragte er. Unwillkürlich richtete er sich auf seinem Stuhl auf.
»Falls jemand etwas Gefährliches versteckt hat, dann musste er dafür gesorgt haben, dass es niemand aus Versehen findet ...«
Timo begriff, was sie meinte: Was würde passieren, wenn ein Mensch etwas fände, das ebenso gefährlich war, wie es der Atommüll
für künftige Generationen sein würde?
»Das Schlüsselwort lautet:
Versteck
«, fuhr
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