Das Hiroshima-Tor
saubere kleine Stangen in die Erde fahren. »Nachdem die Endlagerung abgeschlossen ist, wird die Verkapselungsanlage
abgebaut, und die Schächte werden geschlossen. Die Kapseln im Felsen haben einen Durchmesser von gut einem Meter, sind vier
Meter lang und wiegen zwanzig Tonnen. Die äußere Hülle besteht aus fünf Zentimeter dickem Kupfer, darunter liegt eine noch
dickere Schicht Gusseisen mit Kugelgrafit. Das Kupfer verhindert Korrosion, und das Eisen hält den mechanischen Belastungen
stand, denen die Kapsel im Gestein ausgesetzt ist. Die Korrosion von Kupfer dauert extrem lange ...«
Timo konnte es sich nicht verkneifen, an dieser Stelle eine Bemerkung einzuwerfen. »Und wenn die mechanische Belastung zuerst
die Kupferhülle beschädigt? Dann könnte Wasser eindringen, und das Eisen rostet.«
»Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche«, sagte der Vertreter des Strahlenschutzzentrums, ohne Timo auch nur eines Blickes
zu würdigen. Die gereizte Anspannung am Konferenztisch war mit Händen zu greifen. »Also auf den Betonguss.«
Sie diskutierten nun über verschiedene Methoden, mit dem manipulierten Guss zu verfahren, und waren dabei einigermaßen kontroverser
Meinung.
|100| »Die einzige hundertprozentig sichere Methode besteht darin, alle bereits gegossenen Konstruktionen zu entfernen und unter
Aufsicht neue herzustellen«, erklärte der Projektleiter.
»Das gilt wohl auch für die Baustelle des Atommeilers«, warf Timo beiläufig ein, obwohl er wusste, um welch eine Riesenangelegenheit
es sich dabei handelte. Die Probleme, die durch die verspätete Fertigstellung des drei Milliarden Euro teuren Reaktors verursacht
wurden, müssten später im Rahmen des Emissionshandels auf äußerst kostspielige Weise gelöst werden. Aber so war das eben:
große Sachen, große Probleme.
»Wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen«, beeilte sich der Vertreter des Kraftwerkbetreibers
TVO
zu sagen.
Nun legte der Leiter der Ermittlungen die vorläufigen Ergebnisse dar, doch es befand sich darunter nichts von Bedeutung. Die
technische Untersuchung war noch nicht abgeschlossen, und die Durchleuchtung der Arbeiter war ebenfalls noch im Gange.
Nach der Besprechung sprach Timo unter vier Augen mit dem Leiter der Ermittlungen.
»Seid ihr bei Heli Larva weitergekommen?«, fragte er.
»Ihr Telefon wird abgehört. Aber sie kann sich am nächsten Kiosk natürlich eine Prepaid-Karte für ihr Handy kaufen.«
Im polnischen Zakopane zeichneten sich die Gipfel der Hohen Tatra hinter dem leichten Morgennebel ab. Der gut siebzigjährige,
schnurrbärtige Mann in Cordhose und altem Anorak blieb auf dem Wanderpfad stehen und atmete durch. Sternforscher Bronislaw
Zeromski hatte sich sofort auf den Weg gemacht, nachdem er im Hotel
Wojnar
vom Frühstückstisch aufgestanden war. »Hotel« war für die kleine Herberge etwas übertrieben, aber Zeromski fühlte sich in
dem abseits des Touristengewimmels gelegenen, ruhigen Haus wohl.
Traurig betrachtete er die nebelverhangenen Berge. Am Morgen hatte er von einem Kollegen erfahren, dass J. B. Vaucher-Langston bei einem Brand in England ums Leben gekommen |101| war. Er schätzte Vaucher-Langstons Arbeit sehr und bedauerte, den Mann seit Jahren nicht getroffen zu haben.
Zeromski ging weiter. Er merkte, dass er nicht mehr so gut in Form war wie im Mai, als er sich in der Nordostecke Guatemalas
Cival angeschaut hatte, eine der glänzendsten Städte der vorklassischen Mayakultur. Aufgrund der Funde von Cival hatte man
sämtliche Erkenntnisse über das Niveau von Mathematik und Sternkunde in den frühen Mayakulturen revidieren müssen.
Er hätte sich so gern mit Vaucher-Langston über Cival ausgetauscht, aber jetzt war es zu spät.
Die zwei Wochen in der dünnen Luft Civals hatten seine Form im Frühjahr fast unmerklich verbessert. Allerdings war es damit
nach seiner Rückkehr nach Krakau auch ebenso schnell wieder bergab gegangen. Den Sommer hatte er am Schreibtisch mit der Fertigstellung
eines neuen Manuskripts verbracht, darum war der Urlaub in der Tatra jetzt mehr als nötig gewesen.
Zeromskis Telefon klingelte. Er öffnete den Reißverschluss an der Brusttasche seines Anoraks und zog das Handy heraus. Er
hatte es nur aus Sicherheitsgründen bei sich, oft war es nicht einmal eingeschaltet, denn er bekam selten Anrufe.
Auf dem Display wurde die Nummer des Anrufers nicht angezeigt.
»Hallo«, sagte Zeromski.
»Spreche ich mit Doktor
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