Das Hiroshima-Tor
das Formular. Besonders sensible Unterlagen wurden im Archiv aufbewahrt
und aus Sicherheitsgründen nicht mal ins TER A-Intranet eingespeist.
Madame Doussie warf einen Blick auf das Formular, stellte am Datumsstempel die Uhrzeit ein und knallte den Stempel aufs Papier.
»Moment«, sagte sie ausdruckslos und verschwand in den Tiefen des Archivs.
Fast auf der Stelle kam sie mit einer Hängeregistermappe zurück. Daraus entnahm sie drei DIN-A 4-Bögen und kopierte sie.
Nachdem er die Kopien erhalten hatte, unterschrieb Timo das gestempelte Formular.
»Danke«, sagte er unverändert freundlich und verließ mit pochendem Herzen das Archiv.
Er ging geradewegs in sein Büro, setzte sich an den Schreibtisch und nahm die Papiere unter die Lupe.
Der russischsprachige Inhalt der ursprünglichen Diskette war auf Papier übertragen und ins Englische übersetzt worden. Der
Protokollstil war der gleiche wie bei dem Teil, der mit Finnland zu tun hatte. Darin waren bürokratische Entscheidungen über
behördeninterne Entscheidungen festgehalten worden. Nur einige Stellen enthielten Hinweise auf konkrete nachrichtendienstliche
Operationen. Timo konnte sich vorstellen, dass |105| der ein oder andere Amerikaner noch heute daran interessiert wäre.
Eine Stelle fesselte besonders seine Aufmerksamkeit:
Das sechste Direktorat hat für Nachforschungen der Operation Phönix 600 000 Dollar bewilligt. Aus wissenschaftlichen und psychologischen Gründen ist die Klärung der Angelegenheit von erstrangiger Bedeutung.
In der ersten Phase muss ermittelt werden, ob die Informationen von Adler zutreffen: Hat Cello Kontakt mit Vaucher-Langston
gehabt, gibt es für uns ein Weg, auf ihn zuzugehen?
Was war das für eine Angelegenheit, deren Klärung für die Sowjetunion »aus wissenschaftlichen und psychologischen Gründen
von erstrangiger Bedeutung« war? 600 000 Dollar waren zur damaligen Zeit eine außergewöhnlich hohe Summe für ein nachrichtendienstliches Budget.
Timo sah sich den Teil über Finnland an. Er entsprach den Notizen, die er sich gemacht hatte:
Sperling hat sich als Generalsekretärin ihrer Partei – unserer Bitte entsprechend – deutlich gegen die Integration Finnlands
in den westlichen Wirtschaftsraum ausgesprochen. Kommt am 16.4. nach Moskau. Bringt zu dem Thema eine Kopie des Protokolls
der entsprechenden Sitzung des Parteivorstands mit.
Die anderen Abschnitte enthielten nichts, was noch von Interesse gewesen wäre, darum kam er wieder auf Phönix zurück. War
das ein Hinweis auf eine amerikanische Operation? Oder handelte es sich um ein Vorhaben der Russen selbst, dem sie weiteren
Nachdruck verleihen wollten?
Adler und Cello waren Codenamen der Russen, aber Timo gab sie sicherheitshalber in das TER A-Informationssystem ein. Kein Ergebnis. Danach gab er auch den Namen Vaucher-Langston ein, der echt klang. Kein Resultat.
Schließlich versuchte er es mit »Vaucher-Langston« über Google. Dort bekam er zu viele Ergebnisse, wie üblich. Seitenlang |106| Hinweise. Frustriert faltete Timo die Kopien aus dem Archiv zu einem kleinen Bündel zusammen und schob es in seinen Schuh.
Zum Mittagessen ging er in die Kantine im Untergeschoss, lud sich sahnige Pasta und Baguette aufs Tablett und setzte sich
zu Heidi Klötz an den Tisch, an dem wie immer Platz war.
»Hast du eigentlich schon den Pulsmesser ausprobiert, den du von deiner Frau zum Geburtstag bekommen hast?«, wollte die gertenschlanke
Deutsche wissen.
Timo spürte ihren Blick auf seine Bauchregion, die in letzter Zeit jedenfalls nicht geschrumpft war. »Zuletzt vor ein paar
Wochen. Als ich mir Hitchcocks ›Vertigo‹ angeschaut habe. War eine Idee meines Sohnes. Er entwickelt eine Qualitätsskala für
spannende Filme, die auf der Messung des Pulses beim Zuschauer basiert. Ich war das Versuchskaninchen.«
Heidi Klötz lächelte. »Ist dein Puls etwa in die Höhe gegangen?«
»Zu viel sogar. Warum?«
»Ich habe auch mit dem Gedanken gespielt, mir einen Pulsmesser zuzulegen. Mit Blick auf den Brüsseler Halbmarathon im Frühjahr.«
Timo lenkte das Gespräch auf die Arbeit. Er fragte Heidi detailliert nach ihrer Meinung zur möglichen Beteiligung deutscher
Aktivisten an den Attentaten auf Olkiluoto. Das war schon einmal Thema gewesen, doch bis jetzt gab es keine einschlägigen
Hinweise.
»Meine Quelle beim BfV weiß jedenfalls nichts über Aktivitäten in Finnland.«
Timo schob sich eine Ladung Nudeln in den
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