Das Hiroshima-Tor
später jederzeit und überall auftauchen ...
Aus weiter Ferne hörte er Lahdensuos leise triumphierende Stimme. »Ich weiß nicht, für wie zuverlässig ein Gericht Ihre Beweise
halten würde, wenn es erführe, welche Methoden Sie einsetzen, um sie zu bekommen.«
In Timos Bestürzung mischten sich Wut und Scham. Plötzlich sprang er auf und griff nach dem Diktiergerät. Dabei fiel die Wasserkaraffe
um, entließ ihren Inhalt auf die Tischdecke, rollte auf den Rand des Tisches zu und drohte jeden Moment zu Boden zu fallen.
Timos Finger umklammerten das Gerät in Lahdensuos Hand. Die Karaffe zersplitterte im selben Moment, als Timos Ellbogen den
Keramikkrug mit den Bestecken umstieß. Lahdensuos Griff hielt stand, er lehnte sich zurück, als die Besteckteile scheppernd
zu Boden fielen. Timo schnellte hinter dem Tisch hervor, packte Lahdensuo mit einer Hand am Kragen und rammte ihm die Faust
in den Leib. Lahdensuo sank ächzend zusammen, und Timo griff mit beiden Händen nach der Faust, die das Aufnahmegerät nun noch
fester umklammert hielt.
Plötzlich packte ihn jemand am Arm, den anderen hatte ihm |92| jemand auf den Rücken gedreht. Timo befand sich im kräftigen Griff dreier Restaurantbesucher.
»Holt die Polizei!«, rief einer von ihnen.
In diesem Moment kam Timo wieder zu sich. Hatte sich sein Vater so gefühlt, nach einem seiner blinden Tobsuchtsanfälle?
»Polizei ist nicht nötig«, sagte Lahdensuo blass, aber mit bohrendem Blick auf Timo. »Oder?«
»Nein, nicht nötig«, wiederholte Timo mit leicht zitternden Händen.
»Ersetzen Sie dem Restaurant den Schaden und verschwinden Sie wieder in Ihre Felsenhöhle«, flüsterte Lahdensuo Timo zu. Dann
zog er sein Tweedsakko glatt und ging davon.
Der Geschäftsführer des Lokals trat ihm in den Weg. »Moment ...«
»Nur eine kleine Auseinandersetzung. Der Herr ersetzt Ihnen den Schaden.« Zielstrebig ging Lahdensuo an dem Mann vorbei und
verließ das Lokal.
Aufgewühlt und mit zitternden Händen zog Timo sein Portemonnaie hervor. Er wusste, er hatte gerade den schlimmsten Fehler
seiner Laufbahn begangen. Die Wiederherstellung des Rufs seines Vaters und die Befreiung von seinem Erbe standen in Gefahr.
Das konnte ihn seinen eigenen Ruf und seine Karriere kosten.
Am schlimmsten für ihn aber war es, wieder einmal feststellen zu müssen, dass er und sein Vater tatsächlich gemeinsame Gene
hatten.
|93| 13
Am Montagmorgen war es dunkel und diesig am Helsinkier Hauptbahnhof. Der Mann in der schwarzen Lederjacke stand in der Nähe
des Haupteingangs und rauchte. Reisegepäck hatte er nicht dabei.
Er sah zwei betrunkenen jungen Männern zu, die sich gegenseitig stützten und sich krakeelend auf den Eingang zur U-Bahn zubewegten. Der Verkehr war noch spärlich, und das laute Gegröle der beiden Männer hallte von den Häuserwänden wider.
Von der Kaivokatu her fuhr ein Taxi vor, und der Mann wurde aufmerksam. Er begab sich in den Schatten einer Nische und zog
an seiner Zigarette.
Der Fahrgast zahlte und stieg aus.
Der Mann in der Nische drehte sich um und ging zum Eingang des Bahnhofs.
Timo warf die Tür des Taxis hinter sich zu. Er hatte keine Lust gehabt, um 6.10 Uhr in Porvoo in den Bus zu steigen, sondern hatte lieber seine Geldbörse leiden lassen. Die zusätzlichen 60 Euro machten die Katastrophe auch nicht größer.
Er sog die frische Morgenluft ein und ging mit dem kleinen Bordcase über der Schulter auf den Eingang des Bahnhofsgebäudes
zu. Die Atmosphäre war apathisch und düster, sie passte perfekt zu Timos Stimmung.
Er hatte eine sehr simple Strategie, zu der ihn die Katastrophe mit Lahdensuo vom Vorabend zwang: Er musste aus eigener Kraft
so viele Beweise für die Authentizität des Materials aus der Seine sammeln, dass die Bedingungen für die Aufnahme von Voruntersuchungen
gegeben wären – selbst nach Rautios Auffassung |94| . Erst wenn sich keine Beweise fänden, müsste er das akzeptieren und die ganze Geschichte vergessen.
Timo betrat die Bahnhofshalle und ging nach links zu den Fahrkartenschaltern. Er hatte die zischelnde Stimme aus dem Diktiergerät
im Ohr, die schlimmstenfalls in einem Gerichtssaal ertönen würde:
»Wenn Sie mir Informationen über den Hintergrund und die Quelle der KG B-Diskette liefern, gebe ich Ihnen die Möglichkeit, ungeschoren aus der Sache herauszukommen.«
Er konnte sich nun keine einzige Fehleinschätzung mehr leisten. In diesem Fall war ein
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