Das Hiroshima-Tor
Nortamo«, sagte der Dunkelhaarige mit dem massiven Kinn ernst. »Setzen Sie sich und hören Sie mir genau zu.«
Timo ließ sich in einen Sessel fallen.
»Sie haben sich eigensinnig um das Material aus der Seine bemüht, obwohl man Ihnen die Ermittlungen entzogen hat«, sagte der
Amerikaner, zwar etwas außer Atem, aber unaufgeregt. »Warum?«
Timo hustete. Es fiel ihm schwer, sich nach dem gewaltigen Adrenalinschub zu beruhigen. Gerade die überzogene Nüchternheit
des Mannes machte ihm Angst, dieses vollkommene Fehlen menschlicher Züge. »Mit wem habe ich die Ehre?«
Der Mann holte seinen Dienstausweis hervor. »Douglas Murphy, CIA. Wir handeln in Amtshilfe auf Bitten einer bestimmten Behörde eines anderen Staates. Bitte beantworten Sie meine Frage. Warum
wühlen Sie in etwas herum, das Sie nichts angeht?«
Die Überheblichkeit des Mannes ärgerte Timo. »Es geht mich verdammt viel an. Es geht immerhin um Finnland ...«
»Nein. Es gibt darin nichts, was Finnland berühren würde. Lediglich eine diffuse Anspielung, die keinen Anlass zu weiteren
Vermutungen bietet. Ihr ehemaliger Vorgesetzter in Helsinki scheint das begriffen zu haben.«
|139| Es bereitete Timo große Schwierigkeiten, wenigstens einigermaßen ruhig zu bleiben. Allmählich ahnte er, was los war: Das Seine-Material
würde nie als Grundlage einer an die Öffentlichkeit dringenden Geschichte verwendet werden können. Und das schien Rautio und
der Präsidentin mehr als recht zu sein.
»Mr. Nortamo, vergessen Sie Pont Marie. Vergessen Sie die Diskette.«
Timo musterte den Amerikaner, der noch immer ruhig und nüchtern wirkte.
»Oder wir müssen Maßnahmen ergreifen, die wir eigentlich vermeiden möchten«, fügte der Mann hinzu.
»Was soll das denn heißen?« Es gelang Timo nicht, seine Stimme so sarkastisch klingen zu lassen, wie er es gewollt hätte.
Es wurde zunächst still im Raum, dann brach der Amerikaner das Schweigen mit einer monotonen Liturgie. »Wenn wir uns dazu
gezwungen sehen, werden wir auf die Weisung des Präsidenten zurückgreifen, die uns zu der Möglichkeit ermächtigt, im Kampf
gegen den Terrorismus Personen zu eliminieren, die eine ernsthafte nationale Bedrohung darstellen.«
Timo starrte den CI A-Beamten an und räusperte sich. »Und was ist das für eine Bedrohung, die ich darstelle?«
»Ich bin nicht befugt, darüber Auskunft zu geben.«
»Ihr wisst genau, dass die ›Bedrohung, die ich darstelle‹, nichts mit Terrorismus zu tun hat«, sagte Timo leise. »Ihr seid
euch wirklich nicht zu ...«
»Unterschreiben Sie das hier.«
Der Amerikaner reichte Timo ein Blatt Papier mit wenigen Zeilen Text. Die Überschrift lautete: SCHWEIGEABKOMMEN.
»Warum soll ich so etwas unterschreiben, wenn ich nicht einmal weiß, worum es geht?«
»Ich glaube nicht, dass Sie eine Wahl haben«, erwiderte der Amerikaner trocken.
Timo schaute die beiden Männer abwechselnd an. Ihre Ausdruckslosigkeit trieb ihm den Schweiß aus den Poren.
|140| Der Mann hatte Recht. Alles sprach dafür, dass es tatsächlich keine Alternative gab.
Timo legte das Blatt Papier auf den Tisch, sah aber noch einmal kurz zum Amerikaner, der zu ihm gesprochen hatte. Doch der
reagierte nicht: Sein Blick war auf den Boden gerichtet, und auf seiner Miene zeichnete sich so etwas wie Überraschung ab.
Timo folgte verstohlen seinem Blick.
Dort lag die Plastiktüte des Buchladens, deren Inhalt ein Stück herausgerutscht war. Deutlich konnte man lesen: J. B. VAUCHER-LANGSTON: ›Zu neuen Kontinenten. Die Geschichte der Karten und der Navigation‹.
Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es Timo: Der Amerikaner hatte das Buch gesehen.
Er konzentrierte sich wieder auf das Schweigeabkommen und unterschrieb. Seine Hand zitterte.
Der CI A-Beamte faltete das Blatt zusammen und steckte es ein.
»Danke«, sagte er.
Sein Tonfall signalisierte, dass er von Anfang an keinen Zweifel an Timos Zustimmung gehabt hatte. Er klang so, als wäre der
Fall nun für ihn erledigt.
Timo zog es vor, dieses Missverständnis nicht zu korrigieren.
|141| ZWEITER TEIL
|143| 20
Heli Larva saß am Computer und rührte dabei mit dem Löffel in der Teetasse. Die klare Nacht draußen war kühl. Im Zimmer strahlte
der alte Holzofen Wärme ab, aber Heli fror.
Erneut las sie die E-Mail auf dem Bildschirm: »Ich bin in Turku, fahre mit
Viking Line
nach Stockholm, die Polizei hat nach mir gefragt. Joni.«
Heli führte ihren Hotmail-Briefkasten unter
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