Das Hiroshima-Tor
Trigonometrie. Aus der Luft? Im 16. Jahrhundert? Die genaue Festlegung der Längengrade zeigte, dass beim Zeichnen der Karte sphärische Trigonometrie |148| angewendet worden war. Diese aber lernte man erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts bei der Kartierung einzusetzen.
Vaucher-Langston hob die Unterstützung und Kompetenz amerikanischer militärischer Quellen hervor, und zwar auf eine Weise,
die Timos Interesse befeuerte. Falls der Historiker Jacob Vaucher-Langston derjenige Vaucher-Langston war, der im Seine-Material
erwähnt wurde, was mochte dann die Operation Phönix sein? Und waren die Russen auf ihn zugegangen, wie sie es geplant hatten?
Timo fand allerdings keine Erklärung, warum ausgerechnet Professor Vaucher-Langston im Seine-Material hätte auftauchen sollen.
Warum zum Teufel hätte sich der KGB für einen Mittelalter-Historiker und für alte Karten interessieren sollen?
Den einzigen einleuchtenden Hinweis boten die ständigen Verweise des Professors auf US-amerikanische Militärbehörden, deren
Hilfe er offenbar bei seinen Kartenstudien in Anspruch genommen hatte.
Schließlich klappte Timo das Buch zu und schob es in die Plastiktüte zurück. Die ganze KG B-Diskette hatte durch das Buch von Vaucher-Langston einen neuen, eigentümlichen Stempel aufgedrückt bekommen: einen rätselhaften und
düsteren. Aber Vaucher-Langston war ein renommierter Historiker, der die Fragen, die er gestellt hatte, nicht unter Hinweis
auf untergegangene Zivilisationen oder Besucher aus dem All zu beantworten versucht hat.
Timo schaltete die Innenbeleuchtung aus und startete den Wagen. Unweigerlich kamen ihm die Bücher von Erich von Däniken in
den Sinn, die er als Junge gelesen hatte. Der Schweizer Hobbyforscher untersuchte überall auf der Welt monumentale Kultstätten
und die dazugehörigen Rätsel, die mythologischen Grundlagen der Religionen und die Kunst von indigenen Völkern, und entdeckte
darin auch schon mal Hinweise auf Astronautenausrüstungen. Laut von Däniken hatten Besucher von anderen Planeten, die den
Erdbewohnern in technischer Hinsicht überlegen waren, ihre Spuren in der |149| Menschheitsgeschichte hinterlassen. Nur so ließen sich die eigentümlich weit entwickelten mathematischen und astronomischen
Kenntnisse der Ägypter, Maya und Babylonier erklären.
Timo bog in die Souverain ein und fuhr in Richtung Stockel. Er konnte sich noch gut an die Ufo-Begeisterung erinnern, die
von Däniken auch in Finnland ausgelöst hatte. Ausführlich wurden damals in der Presse Theorien über Besucher aus dem All diskutiert.
Als Fortsetzung des Ufo-Booms waren dann verschiedene parapsychologische Phänomene aufgetaucht. Den Gipfel bildete Uri Geller,
der in einer Fernseh-Liveübertragung per Telepathie einen Löffel verbog. Timo sah die Sendung in allen Einzelheiten vor sich.
Es musste vor 1975 gewesen sein, denn damals hatte sein Vater noch zu Hause gewohnt.
Bei dem Gedanken an seinen Vater wuchs Timos Wut auf die Amerikaner nur noch mehr. Was immer sie auch in dem Fall sahen, ernst
meinten sie es auf jeden Fall. Die CIA würde ihr Pulver gewiss nicht für Visionen im Stil von Dänikens verschießen, es musste
um etwas Größeres gehen, um etwas sehr Bedeutsames.
Und wenn die Quellenkarten, die Piri Reis verwendet hatte, ursprünglich von einer untergegangenen Zivilisation stammten, die
nicht über das nötige Navigationsinstrumentarium zur Berechnung von Längengraden verfügte? Alle bekannten paläontologischen
Fossilienfunde bewiesen unbestreitbar, dass es solche Zivilisationen auf der Erde nicht gegeben hatte. Alle
bekannten
Funde, wohlgemerkt ...
Timo war ein durch und durch rationaler Mensch, darum bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, solche lächerlichen Überlegungen
aus seinem Kopf zu verbannen. Dennoch fühlte er sich ein bisschen wacklig in seinen Überzeugungen.
Er umklammerte das Lenkrad fester als sonst und behielt die Umgebung besonders wachsam im Auge. Der dichte Verkehr hatte sich
etwas aufgelöst, und niemand folgte ihm. Die Beleuchtung des Armaturenbretts schien in sein Blickfeld, ein |150| warmer Luftstrom drang aus dem Gebläse. Das Auto kam ihm wie ein Zufluchtsort vor, obwohl es in Wahrheit eine Falle der schlimmsten
Sorte sein konnte.
In der schwach beleuchteten Hebronlaan in Kraainem standen auf der einen Straßenseite zweistöckige Doppelhaushälften, gegenüber
erstreckte sich ein Maisfeld. Es war bereits abgeerntet, und die
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