Das Hiroshima-Tor
falschem Namen, trotzdem löschte sie Joni Mastomäkis Mail auf der Stelle. Sie
verstand, dass er sie warnen wollte, aber überflüssige Kontakte bedeuteten überflüssige Risiken.
Um sich aufzumuntern, öffnete Heli eine andere Datei. Lächelnd betrachtete sie die bewegten Bilder auf dem Monitor. Sie waren
unscharf, aber drei helle Stellen waren deutlich zu erkennen: ihre Brüste und Timo Nortamos Gesicht, das zwischen ihnen versank.
Alle unnötigen Sequenzen der Aufnahme hatte Heli entfernt, das übrige Material war zweideutig genug, um Soile Nortamo Freude
zu bereiten. Sie konnte sich noch gut an die einige Jahre jüngere Studentin erinnern, die in ihrer Übung zur Mathematischen
Physik gesessen hatte. Sie waren in ein Wortgefecht über den Umgang mit Atommüll geraten. Soile hatte der Atomenergie damals
schon vorbehaltlos positiv gegenübergestanden.
Für Heli war das unfassbar gewesen. Selbst ein Kind konnte verstehen, dass die atomaren Risiken nicht berechenbar waren. Und
selbst äußerst unwahrscheinliche Dinge traten ein. Was war denn in Windscale oder in Harrisburg oder in Tschernobyl oder in
Tokaimura gewesen?
|144| Soile hatte versucht, Belege für die Sicherheit von Kernenergie zu finden, aber dieser Versuch war natürlich zum Scheitern
verurteilt gewesen: Während man noch die komplexesten Wahrscheinlichkeitsberechnungen aufstellte, war es immer und immer wieder
zu Zwischenfällen gekommen. Die Führungsgremien von Energiekonzernen und Kraftwerkbetreibern wie
IVO
oder
TVO
waren sich dessen natürlich bewusst. Wenn das Unfallrisiko so gering war, wie die »Experten« in Finnland behaupteten, warum
waren sie dann nicht bereit, die von eventuellen Zwischenfällen verursachten Kosten zu tragen – wie es in den USA üblich war –, statt sie den Steuerzahlern aufzubürden?
Die Kernenergie wäre eine prima Methode, Strom zu erzeugen, wenn sie ohne Unfallrisiko und ohne Strahlenemission funktionieren
würde. Und noch wichtiger: wenn das Abfallproblem gelöst wäre. Aber die Habgier brachte die Menschen dazu, die Atomenergie
zu nutzen, ohne das Abfallproblem gelöst zu haben.
Man müsste den Energieverbrauch in Relation zur vorhandenen Energiemenge setzen, fand Heli. Warum mussten zum Schaden künftiger
Generationen unterirdische Müllkippen angelegt werden, damit man jetzt mehr Strom für die Papierfabriken hatte? War man bereit,
auf dem Altar der Wirtschaft alle anderen Werte zu opfern? Wo waren Moral und Verantwortungsbewusstsein der Wissenschaftler
geblieben?
Die ethischen Vorstellungen und persönlichen Entscheidungen einzelner Wissenschaftler hatten die Entwicklung der Forschung
und sogar der gesamten Menschheit gesteuert. Im Dezember 1938 hatte Otto Hahn die Spaltreaktion des Urans entdeckt. Drei Monate
später hielten etwa zweihundert Atomphysiker in allen Teilen der Welt eine Atombombe für möglich. Zugleich erkannten sie:
Wenn der Bau einer Atombombe möglich war, würde das auch jemand tun. Und wenn die Atombombe gebaut wäre, würde sie auch jemand
einsetzen.
Heli hatte Respekt vor J. Robert Oppenheimer. Mit dem Eifer |145| des Wissenschaftlers hatte er damit begonnen, eine Atombombe zu entwickeln. Als er aber sah, was das für ein Ungeheuer war,
an dessen Erschaffung er beteiligt war, versuchte er die Politiker und die Nation zur Vernunft zu bringen. Gäbe es doch nur
mehr Oppenheimers unter den Wissenschaftlern.
Ähnliches galt für das Klonen von Menschen. Weil es möglich war, würde es auch gemacht werden. Aber die Entscheidungen der
Wissenschaftler betrafen nicht bloß Bereiche wie die Atomtechnologie oder das Klonen, sondern auch ganz alltägliche Dinge:
Da wurde für die Zahnpasta Triclosan genommen, obwohl der Verbraucher unweigerlich etwas davon schluckt, oder man bediente
sich für Deostifte einer Aluminiumverbindung, die für die Nerven gefährlich war ...
Heli startete über Google eine Suche über »Soile Nortamo«. Das hatte sie schon einmal getan: vor fünf Jahren, als sie zuletzt
mit Timo zu tun gehabt hatte, der damals noch bei der finnischen KRP gewesen war. Sie schnaubte verächtlich, als sie sah,
dass Soile im CERN am Grid-Programm und im Rahmen der Transmutationsforschung bei abgebrannten Kernbrennstoffen mitgearbeitet
hatte.
Sie fand zwei E-Mail -Adressen, eine an der TH in Helsinki und eine beim CERN. Beide nahm sie in ihr Adressbuch auf.
Timo saß in seinem Wagen, den er am Weiher des
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