Das Hiroshima-Tor
fragte, ob sie über Nacht zu ihm kommen könnten.
|134| Jukka stimmte ohne Zögern zu. Mit einem vertrauenswürdigen Menschen zu sprechen verschaffte Timo etwas Erleichterung. Er rief
Soile in Genf an und erzählte ihr die gleiche Version. Sie reagierte ausgesprochen lakonisch. Ihr distanziertes Verhalten
bestärkte Timos Verdacht, was den Grund für Soiles Kühle in der letzten Zeit betraf. Zum Teil war er durch Soiles Scherze
geweckt worden, nachdem Patrick Saari, ein Kollege von ihr aus Helsinki, zum CERN gewechselt war. Timo hatte den Mann ein
paar Mal in Finnland gesehen und konnte ihn dadurch mit Soiles Vorstellung von einem »Traummann« in Verbindung bringen. Soile
hatte Patrick geholfen, eine Wohnung in Genf zu finden und über ihn wie über einen beliebigen Kollegen gesprochen, bis sie
ihn plötzlich überhaupt nicht mehr erwähnte. Wenn Timo etwas gefragt hatte, hatte sie das Thema gewechselt.
Er steckte den Zettel mit den Notizen zum Seine-Material und das Foto, das von Lahdensuo auf dem Pont Marie gemacht worden
war, in ein Kuvert und schrieb darauf die Adresse seiner Mutter in Porvoo. Das Material war an jedem Ort sicherer als bei
ihm.
Timo brachte Aaro und Reija vom Tenbosch-Park zu Jukka. Der wohnte mit seiner Familie im Osten der Stadt, in Kradinem, einer
Gegend, die bei Finnen beliebt war. Anschließend stellte Timo den Wagen am Hauptplatz von Stockel ab und fuhr mit der Metro
ins Zentrum von Brüssel zurück. Die ganze Fahrt über dachte er fieberhaft nach. Man hatte zuerst versucht, ihn in Helsinki
aus dem Weg zu räumen, und jetzt hier, wenngleich aus anderen Gründen. Glaubten diese Leute wirklich, er würde das auf sich
beruhen lassen und sich anderen Beschäftigungen zuwenden? Jedes Hindernis, das ihm in den Weg gestellt wurde, veranlasste
ihn nur dazu, der Sache noch entschlossener auf den Grund zu gehen.
Er begriff, dass es ihm nicht mehr nur um seinen Vater, seinen Arbeitsplatz oder um die Präsidentin ging. Es ging jetzt ums
Prinzip, um Richtig und Falsch.
Timo zog den Zettel aus der Tasche, auf dem er die Namen notiert hatte, die im Seine-Material genannt wurden. Einer davon |135| – Vaucher-Langston – hatte ihn ein kleines Stück vorangebracht. Es war Glück im Unglück, dass er zu Hause mit dem PC nicht
weitergekommen war, denn die Eindringlinge würden auf der Festplatte auch nur all die Adressen finden, die er mit dem Computer
besucht hatte.
An der Station De Brouckere stieg er aus. Auf der Treppe zur Metrostation bettelte eine Rumänin, die ein zweijähriges Kind
als Requisit auf dem Arm trug. Timo war skeptisch, was das Betteln betraf, zumindest hier handelte es sich meist um ein durchorganisiertes,
zynisches Geschäft, und die Frau war eine Art Angestellte.
Er ging in die belebte Rue Anspach und betrat dort das mit orangefarbenen Werbeplakaten ausgekleidete
easyEverything-Internetcafé
. Er setzte sich an einen Bildschirm und arbeitete konzentriert und zielstrebig. Je dunkler es draußen wurde, umso mehr Notizen
kamen auf dem Blatt Papier neben ihm zusammen.
Vaucher-Langston schien die einzige Spur zu sein. Er suchte erneut die Angaben der Beratungsfirma von David Vaucher-Langston
und versuchte sofort in Kapstadt anzurufen. Aber dort meldete sich niemand, was auch kein Wunder war, denn in Südafrika war
es ebenfalls schon Abend.
Sicherheitshalber forschte er auch bei den anderen beiden Vaucher-Langstons weiter. Den in San Francisco lebenden, auf Rauminstallationen
spezialisierten Henri Vaucher-Langston strich er von der Liste, als er dessen Geburtsdatum sah: 27. 4. 1978.
Ebenso weit hergeholt erschien ihm der Historiker J. B. Vaucher-Langston. Der war Fachmann für das Mittelalter und arbeitete als Professor an der Universität Cambridge. Timo wollte
gerade die Seite mit den Suchergebnissen schließen, da beschloss er, abschließend noch einen Blick auf das jüngste Dokument
zu werfen. Es handelte sich um einen Nachruf aus der Zeitung ›The Daily Telegraph‹. Der Historiker J. B. Vaucher-Langston war am Wochenende überraschend bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen.
|136| Zeitpunkt und Todesursache veranlassten Timo, den Artikel zu lesen. Wie in britischen Zeitungen üblich, war er gründlich recherchiert.
Vaucher-Langston war für seine Forschungsarbeiten über alte Landkarten bekannt. Er hatte bei seinen Untersuchungen die modernste
Technik angewandt und dabei auch mit
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