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Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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letztlich in einem Grundproblem: in der Gewalttätigkeit und der Habgier des Menschen. Wissenschaftler
     haben die Atomenergie entdeckt, und sogleich wurde sie für militärische Zwecke genutzt.Als man beschloss, sie zur Herstellung
     von Energie einzusetzen, wusste man von dem Abfallproblem, aber man verschloss die Augen davor. Die Habgier siegte über die
     Vernunft. Entscheidungen zum Thema Atommüll werden immer wieder aufgeschoben, der Müll wird einfach zwischengelagert. Und
     dann wählt man aus Not die primitivste Lösung und vergräbt den Müll einfach in der Erde.
    Wie kann auch nur ein einziger Wissenschaftler mit Selbstachtung sich zu einem solch wahnsinnigen Unterfangen verleiten lassen,
     und sei es mit noch so viel Geld?
    Wenn heute in Finnland und anderswo auf der Welt der Boden unter einem Wohngebiet von alten Giftstoffen gereinigt wird, seufzt
     man kollektiv über die Gedankenlosigkeit früherer Zeiten. Man kann sich nur vorstellen, für welche Idioten künftige Generationen
     uns halten werden, die wir lebensgefährlichen Atommüll in der Erde vergraben.
     
    Soile grinste. Der Text enthielt keine Fehler, aber das Ganze erinnerte doch eher an ein Pamphlet als an eine seriöse Abhandlung.
     Sie sah sich noch einmal Helis boshafte Mail an, holte tief Luft, nahm ihr Telefon zur Hand und bereitete sich darauf vor,
     Timo anzurufen.
    Aber war das klug?
    Es klopfte leicht an die Tür. Patrick trat ein.
    »Kommst du mit essen?«, fragte der Mann mit der gebräunten Haut und den blauen Augen.
    »Ich weiß nicht   ... na, ich komme mit.« Soile schaltete den Bildschirm aus, damit Patrick nichts sah. Sie schämte sich für |166| Timo, und das war ein seltsames Gefühl. Es wäre ihr nicht in den Sinn gekommen, Patrick davon zu erzählen. Das war eine Sache,
     die nur sie und Timo etwas anging.
    »Ist etwas passiert?«, fragte Patrick mit forschendem Blick.
    Soile lachte. »Wieso?«
    Auf einmal wäre sie gern allein gewesen. Patrick und sein forschender Blick gingen ihr auf die Nerven.
    Patrick legte ihr die Hand in den Nacken und wollte sie küssen, aber Soile hielt ihn mit einer unwirschen Geste davon ab.

|167| 23
    In Rekola, einem Vorort der Stadt Vantaa, ging Timo am Rand einer ungeteerten Straße entlang auf das Haus seines Vaters zu.
     Die Wolken hingen tief, auf den Weiden und den Herbstblumen glänzten Regentropfen.
    Er hatte sich nicht beherrschen können und Välimäki angerufen. Der hatte ausweichend reagiert und war nicht bereit gewesen,
     über Dinge im Zusammenhang mit dem Seine-Material zu reden. In den Ermittlungen zum Atommeiler Olkiluoto gab es allerdings
     Fortschritte. Der Mitarbeiter eines Subunternehmens war in Stockholm festgenommen worden.
    Timo hatte beschlossen, seinen Vater noch vor der Reise nach England aufzusuchen, die am nächsten Tag anstand und mit der
     er mancherlei Hoffnung verband. Er sah dem Bewerbungsgespräch mit Interesse entgegen, außerdem hatte er beschlossen, bei der
     Gelegenheit auch Cambridge zu besuchen. Warum hatte Daniel Croës das Gespräch abgebrochen, als Timo ihn nach Vaucher-Langston
     gefragt hatte? Das war eine sehr spontane Reaktion gewesen für einen besonnenen Akademiker.
    Timo war gespannt. Sein Vater stand ihm fern, er war ein fremder Mensch, abgesehen von einigen Kindheitserinnerungen. Aber
     warum stand er ihm so fern? War das nur die Haftstrafe? Die war der Schandfleck der Familie, die hatte dem Vater endgültig
     die Tür vor der Nase zugeschlagen. Gerade deshalb war Timo zutiefst erleichtert gewesen, als er schließlich erfuhr, dass sein
     Vater in Wahrheit bei der Ausübung seines Amtes in Notwehr gehandelt hatte.
    Die Tragödie an sich war für den Vater gewiss schwer auszuhalten |168| gewesen, zumal er sicherlich wusste, dass eine für ihn ungünstige Version der Ereignisse seiner ehemaligen Frau und seinem
     Sohn zu Ohren gekommen war. Das musste schmerzlich für ihn gewesen sein, aber als loyaler Staatsbürger hatte er seine Strafe
     abgesessen und sich ausgeschwiegen.
    Mit zunehmendem Alter hatte sich Timo immer öfter gefragt, was dieser Paavo Nortamo eigentlich für ein Mensch sein mochte.
     War Unerbittlichkeit eine Frage des Charakters, oder wurde man so durch überzogene Vorstellungen von Gut und Böse? Für einen
     Polizisten war Unerbittlichkeit geradezu ein Verhängnis, das wusste Timo aus eigener Erfahrung.
    Durch lichtes Weidengestrüpp hindurch schimmerte ein barackenähnliches Gebäude, so idyllisch wie der Unterschlupf

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