Das Hiroshima-Tor
von Pennern.
Die Fassade bestand aus ungehobelten, blaugrün gebeizten Brettern. Timo hatte einen Kloß im Hals bei dem Gedanken, dass diese
Bruchbude das Zuhause seines Vaters war.
Einmal hatte er versucht, ihn anzurufen, nachdem er erfahren hatte, dass der Fall Paavo Nortamo unter Ausschluss der Öffentlichkeit
verhandelt und die Prozessprotokolle für eine Frist von fünfzig Jahren als geheim deklariert worden waren. Die Information
war von Välimäki gekommen, der wegen eines anderen Falls die Erlaubnis bekommen hatte, einen Teil der gesperrten Akten durchzusehen.
Damals hatte der Vater den Hörer aufgeknallt, als Timo den Vorschlag gemacht hatte, sich zu treffen.
Timo wusste sehr wenig über das Leben seines Vaters. Aber die aktuellen Informationen ließen dessen Haftstrafe in völlig neuem
Licht erscheinen, denn die Verhandlung eines Totschlags unter Saufkumpanen wäre niemals als geheim deklariert worden. Wenn
sein Vater aber nicht wegen Totschlags unter Alkoholeinwirkung verurteilt worden war – was hatte er dann getan?
Spionage für einen anderen Staat kam nicht in Frage, dafür war die Strafe zu kurz. Aber damals war der Kalte Krieg in seiner
heißesten Phase gewesen, und die SiPo hatte alle Hände voll zu tun gehabt.
Timo hatte versucht, an die als geheim eingestuften Gerichtsprotokolle |169| heranzukommen, und dabei festgestellt, dass sie tatsächlich unter Verschluss gehalten wurden. Einen winzigen Fortschritt hatte
er erzielt, als er Eero Suorttanen, einen ehemaligen Kollegen seines Vaters, bei der SiPo ausgrub. Dieser war ein Geheimdienstmann
der alten Schule, ein mit allen Wassern der Finnlandisierungsperiode gewaschener Fuchs, der kaum redete.
»Ich kann nicht damit anfangen, die Ereignisse von damals zu zerpflücken«, hatte Suorttanen gesagt. »Erst recht nicht die
Leute von damals. Wir waren alle gezwungen, uns in einer Grauzone zu bewegen. Auch dein Vater. Die Fassade Finnlands durfte
keinen Sprung bekommen. Und gleichzeitig schufteten wir wie verrückt, um Moskau im Zaum zu halten. Ein paar Mal hat sich die
Lage zugespitzt, wenn Mitarbeiter von KGB oder GRU die Grenzen der Angemessenheit überschritten hatten.«
Schließlich war es Timo gelungen, dem Mann eine wesentliche Information abzuringen: Paavo Nortamo hatte tatsächlich einen
Mann getötet – aber nicht irgendeinen Saufkumpan, sondern einen sowjetischen Staatsbürger. Alles hatte sich unter höchst dubiosen
Umständen abgespielt, kurz nach der KSZ E-Konferenz von 1978. Der Russe hatte in der sowjetischen Botschaft in der Tehtaankatu in Helsinki gearbeitet, und Timos Vater hatte sich in Notwehr
selbst verteidigen müssen. Trotzdem war er wegen Totschlags verurteilt worden.
»Man hätte die Geschichte unter demselben Mist vergraben können wie all die anderen Skandale von damals«, hatte Suorttanen
gesagt. »Es hatten auch alle damit gerechnet, dass es so kommen würde. Die endgültige Entscheidung traf die damalige Innenministerin.
Ich hätte ihren Beschluss sogar verstanden, wenn es die Sicherheit des Landes verlangt hätte. Aber diese Kirsti Heino hat
den Finnen in den Knast wandern lassen, um bei den Russen zu punkten. Sie hat sich in Moskau bei jeder Gelegenheit angebiedert.
Mit Erfolg, wie man heute sieht«, hatte Suorttanen geschnaubt. »Ein Großteil der Politiker damals kapierte, dass Finnland
von einem Bären umarmt wurde. Aber dann gab es da ein paar ehrgeizige junge Männer und Frauen, |170| denen die eigene Karriere das Wichtigste war. Die benutzten die Russen für ihre Zwecke. Manche von ihnen sehr gekonnt.«
Timo erinnerte sich an das Gefühl, das Suorttanens Grinsen in ihm ausgelöst hatte. Es war eine Mischung aus primitivem Hass,
Bitterkeit und Rachsucht gewesen. Die damalige Innenministerin und heutige Präsidentin hatte seinen Vater wegen Totschlags
zu Gefängnis verurteilen lassen, obwohl sie die Wahrheit über den Verlauf der Ereignisse gekannt hatte. Das Urteil hätte höchstens
auf fahrlässige Tötung infolge überzogener Notwehr lauten und die Strafe maximal eine Bewährungsstrafe sein dürfen.
Stattdessen hatte Kirsti Heino Justizmord begangen, um sich in Moskau einzuschmeicheln und ihre Karriere zu beschleunigen.
Und wenn diese Frau zu so etwas fähig gewesen war, wunderte sich Timo überhaupt nicht mehr über das Bild, das in dem KG B-Material aus der Seine von ihr gezeichnet wurde.
Zu allem Überfluss hatte Innenministerin Heino damals die
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