Das Hiroshima-Tor
den modernen Satellitenaufnahmen entsprachen.
Timo suchte sich ein paar Telefonnummern der Universität Cambridge heraus, und nach mehreren Telefonaten erreichte er schließlich
Croës am Trinity College. Er stellte sich als Beamter der finnischen Sicherheitspolizei vor und fragte, wie gut Croës Professor
Vaucher-Langston gekannt habe. Die Tatsache, Finne zu sein, weckte bei den Menschen fast ausnahmslos Vertrauen; mit Finnland
verbanden sich keine politischen Vorstellungen mehr, man dachte immer eher an etwas Kleines, Abseitiges, jedenfalls an etwas,
von dem keinerlei Gefahr ausging.
»Ich darf wohl sagen, dass ich ihn ziemlich gut kannte«, erklärte der Mann nach leichtem Zögern. »Seit über zehn Jahren haben
wir gemeinsame Projekte. Darf ich fragen, warum sich die finnische Sicherheitspolizei für ihn interessiert?«
»Wir ermitteln in einem Sachzusammenhang, der Russland berührt. Haben Sie eine Vorstellung davon, ob Vaucher-Langston je mit
Russen zu tun gehabt hat? Speziell um das Jahr 1989 herum?«
Als Antwort erhielt Timo nur ein tutendes Geräusch. Daniel Croës hatte aufgelegt.
Verdutzt ließ Timo sein Handy sinken. Allmählich war er sicher, den richtigen Vaucher-Langston gefunden zu haben.
|161| 22
Daniel Croës spielte mit dem Telefon in seiner Hand. Durch das Fenster seines Zimmers im Trinity College blickte er auf den
Tudor-Glockenturm des Great Court. Er war nervös.
Schon wieder.
Wer war es diesmal? Und warum?
Er stand vom Schreibtisch auf und setzte sich seufzend auf das abgewetzte Ledersofa, das einer seiner Vorgänger irgendwann
nach dem Krieg in das Zimmer geschleppt hatte. An den dunklen Wandpaneelen aus Eichenholz hingen Schwarzweißfotos, auf denen
Leute vom College bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu sehen waren, und zwar seit der Zeit, als die Fotografie erfunden
wurde. Die Epochen davor wurden durch Gemälde dargestellt.
Auf dem Schreibtisch hatte Croës persönliche Bilder stehen, darunter die Aufnahme eines Mannes mit grauen Locken und brennenden
Augen neben einer in Stein gehauenen Karte.
Je länger er das Bild von J. B. Vaucher-Langston betrachtete, umso mehr bekam er es mit der Angst zu tun. Mit einem Satz war er am Schreibtisch und drehte
das Gesicht des Professors zur Tischplatte um.
Croës hatte Vaucher-Langston 1989 noch gar nicht gekannt, wie sollte er also wissen, was der Professor damals getan hatte?
Auch die Amerikaner hatten ihm keinerlei Erklärung gegeben, sondern immer wieder dieselbe Platte aufgelegt. Hatte der Professor
Tagebuch geführt? Waren in den Protokollen der Institutsversammlungen auch seine persönlichen Seminarreisen verzeichnet?
Croës nahm den verkalkten Wasserkocher, öffnete die Tür |162| und ging zum Waschbecken am Ende des Ganges. Dabei machte er einen Bogen um die Aluminiumkisten der Amerikaner. Man hatte
ihnen alles mögliche Material zu Vaucher-Langston ausgehändigt. Es war so viel, dass es Unsinn gewesen wäre, es mitzunehmen.
Darum hatte sich eine Gruppe von Amerikanern für mehrere Tage im College eingenistet.
Croës gefiel das alles nicht. Er wollte seine Ruhe haben, um sich wieder auf die Arbeit konzentrieren zu können. Der übrigen
Abteilung ging es nicht anders. Vaucher-Langstons Tod hatte alle erschüttert, und niemand mochte diese amerikanischen Schnüffler.
Leute, die nicht hierher gehörten, wollte man am College ohnehin nicht sehen – und Amerikaner erst recht nicht.
Mit dem vollen Wasserkocher kehrte Croës in sein Zimmer zurück. Unterwegs ging eine Tür zum Gang auf, und ein Amerikaner mit
einem Stapel Karten trat heraus. Instinktiv richtete Croës den Blick zu Boden.
Sollte er den Amerikanern erzählen, dass jetzt auch ein finnischer Sicherheitspolizist nach Vaucher-Langston gefragt hatte?
»Absender: Heli Larva.«
Soile hielt in ihren Bewegungen inne. Sie saß in ihrem Zimmer im CERN und las ihre E-Mails .
Neugierig öffnete sie die Mail. Sie konnte sich an Heli Larva vom Studium her erinnern. Intelligent und gut aussehend. An
allem interessiert, sogar an Hochschulpolitik. Wäre sie bei den Grünen nicht ausgestiegen, hätte sie es vielleicht zur Ministerin
gebracht. Aber sie war zu intelligent für die Politik, genau genommen war sie für alles zu intelligent. Soile war ein paar
Mal mit ihr beim Thema Kernenergie zusammengerasselt und hatte dabei gemerkt, dass eine rationale Diskussion mit dieser Frau
nicht möglich war.
Verblüfft las Soile die
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