Das Hiroshima-Tor
protokollierenden Beamten nicht verborgen. Der britische Vertreter bei der TERA hatte
den Polizisten kurz zuvor angerufen und ihm über den Finnen nur so viel mitgeteilt, wie nötig war. Daher brauchte Timo keine
offiziellen Dokumente zu unterzeichnen, alle seine Angaben wurden anonym behandelt. Das war wegen der Amerikaner unumgänglich.
Auf inoffiziellem Wege würden sie zwar dennoch an die Informationen herankommen, aber da sie wussten, dass nun auch die TER A-Führung die Situation kannte, war zumindest ein Übergriff ihrerseits auf Timo nur noch schwer vorstellbar.
Vom Polizeirevier fuhr Timo ins Krankenhaus. Zunächst schien es schwieriger als erwartet, auf die Station vorzudringen, aber
weil die Krankenschwestern so viel zu tun hatten, gelang es ihm schließlich doch. Er gab sich als TER A-Mitarbeiter aus. Die bei der Explosion verwundete dreißigjährige Carol Frost vom Historischen Institut lag mit verbundenem Arm und Kopf
im Bett. Wie Daniel Croës, der bei der Explosion ums Leben gekommen |209| war, hatte auch sie mit Professor Vaucher-Langston zusammengearbeitet – die Tragödie hatte sie schwer erschüttert.
Timo sprach mit ihr, so ruhig er konnte, ohne ihre ums Leben gekommenen Kollegen zu erwähnen. Sie wusste Dinge, die über den
Tod von Vaucher-Langston an der Universität im Umlauf waren. Zu den außergewöhnlichsten zählte die Information, dass der Professor
bei seinem Tod eine Art Talisman in der Hand gehalten hatte, ein Stück Metall, in das die Umrisse eines Quastenflossers eingraviert
waren.
»Ein Quastenflosser? Was ist das?«, fragte Timo. Unter dem Verband konnte er das Gesicht der Frau nicht sehen, und ihr Blick
war von den starken Medikamenten getrübt.
»Der Quastenflosser. Lateinisch Latimeria. Ein lebendes Fossil. Vaucher-Langston hat deswegen mit Doktor Zeromski in Krakau
in Kontakt gestanden.«
»Wie bitte?« Timo beugte sich vor. Die Patientin hatte extrem leise gesprochen.
»Bronisław Zeromski. Astronom. Vaucher-Langston hat ihn ein paar Mal getroffen, aber ich weiß nicht, ob er seine Theorien
schätzte ... jedenfalls nicht öffentlich.«
Timo nahm sein Notizbuch zur Hand und schrieb an den unteren Rand einer Seite: BRONISŁAW ZEROMSKI. »Wieso?«
Die Frau seufzte. »Lesen Sie seine Bücher. Ein paar davon sind ins Englische übersetzt worden. Er hat seine eigenen Ansichten
über die Geschichte der Menschheit und frühe Zivilisationen.«
Durch die Lücke im Verband schauten Timo die Augen der Wissenschaftlerin jetzt scharf und intelligent an. Timo drehte den
Stift in der Hand. »Haben Sie ... Kennen Sie Cecilia Vaucher-Langston?«
»Sie verkehrt nicht in akademischen Kreisen.«
»Können Sie etwas über die Kontakte des Professors in die Sowjetunion oder nach Russland sagen? Gab es dort Kollegen, die
ihm besonders nahe standen?«
»Soweit ich weiß, nicht. Wieso fragen Sie? Wie hängt denn das alles zusammen?«
|210| »Das versuchen wir gerade herauszufinden.«
Timo wechselte noch ein paar beruhigende Worte mit der Frau, dann verließ er das Krankenhaus und fuhr im Nieselregen mit dem
Taxi ins Zentrum von Cambridge.
Eilig suchte er eine Buchhandlung in der Fußgängerzone auf. Der Laden schien gut sortiert, wie es sich für eine Universitätsstadt
gehörte, immerhin fand sich dort auch eines der Bücher von Bronisław Zeromski: ›Der Sternenhimmel der Maya – Auf den Spuren einer untergegangenen Zivilisation‹. Timo kaufte das Buch und eilte im Laufschritt zum Bahnhof.
Am Tag zuvor hatte er den Termin mit der Londoner Sicherheitsfirma storniert. Wahrscheinlich würde er von Brüssel aus einen
neuen Termin vereinbaren, aber jetzt hatte er dafür keine Zeit.
Je weiter sich der Zug von Cambridge entfernte und je mehr der Himmel aufklarte, desto eigentümlicher und skurriler erschienen
die Ereignisse des Abends und der Nacht nun. Timo war auf der Suche nach Bestätigung für die Echtheit des KG B-Materials aus der Seine gewesen und hatte davon mehr als genug bekommen. Trotzdem hatte er noch immer nichts in der Hand, das er vor
Rautio auf den Tisch knallen konnte.
Er warf einen Blick in das Buch von Zeromski. Die Themen, mit denen es sich befasste, schienen Lichtjahre von der Realität
entfernt zu sein, in der Timo lebte – buchstäblich. Denn Zeromski schrieb über Lichtjahre, über Phänomene im Weltall, über
Gestirne und Sternkarten. Und über die Maya. Deren Astronomie und Mathematik waren unfassbar weit
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