Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
zum ersten Mal, und deshalb ist sie so zappelig.
Ich frische mein Lipgloss auf und meide den Anblick meiner geröteten Augen. Wie todgeweiht verschwindet Deborah durch die Doppeltür auf die Bühne. Ich höre, wie sich ihre Stimme undeutlich vom allgemeinen Stimmengewirr abhebt. Kurz darauf wird Applaus laut, und ich stoße Steve an, der gerade in ein Croissant gebissen hat. Typisch.
»Komm schon! Wir sind dran!«
Als ich auf die kleine Bühne hinaustrete und unser Publikum sehe, muss ich unwillkürlich zweimal hingucken.
Auf Werbetour für ein Forschungsunternehmen gewöhnt man sich bald an Studenten, die hereingeschlurft kommen, die Haare ungewaschen, unrasiert, mit Ringen unter den Augen. Aber dieser Haufen ist schon erstaunlich. Vorn sehe ich eine ganze Traube makellos geschminkter Mädchen mit langen, schimmernden Haaren und manikürten Nägeln. Hinter ihnen sitzt eine Gruppe superfitter Jungen, deren T -Shirts sich vor lauter Muskeln spannen. Das Staunen verschlägt mir glatt die Sprache. Was für Labore haben die denn hier? Welche mit eingebauten Hantelbänken?
»Die sehen richtig gut aus!«, raune ich Deborah ermutigend zu. »Bestnote fürs Erscheinungsbild.«
»Nun … wir raten ihnen, sich zu bemühen«, sagt sie errötend, bevor sie davoneilt. Ich werfe einen Blick auf Steve, der die hübschen Mädchen anglotzt, als könnte er sein Glück nicht fassen.
»Herzlich willkommen!« Ich trete an den Bühnenrand. »Danke, dass Sie alle gekommen sind. Mein Name ist Lottie Graveney, und ich möchte Ihnen heute etwas über die beruflichen Möglichkeiten bei Blay Pharmaceuticals erzählen. Sie kennen vermutlich eine ganze Reihe unserer weltweiten Marken, die wir über Apotheken vertreiben, von unserer Schmerzmittel-Marke Placidus bis zu unserem Bestseller, der Sincero Baby Creme. Eine Karriere bei uns ist jedoch weit mehr als …«
»Es ist eine aufregende Karriere.« Steve stößt mich förmlich mit dem Ellbogen aus dem Weg. »Ja, es wird eine Herausforderung , aber auch ein Abenteuer . Wir sind Vorreiter in der Pharmaforschung, und wir wollen Sie mit auf unsere Reise nehmen.«
Ich betrachte ihn mit finsterem Blick. Das ist doch jämmerlich. Erstens steht es nicht im Skript. Zweitens, woher hat er plötzlich diese übertrieben rauchige Stimme? Drittens krempelt er jetzt seine Ärmel hoch, als wäre er so was wie eine pharmaforschende Ausgabe von Indiana Jones. Das sollte er wirklich nicht tun. Seine Unterarme sind ganz bleich und aderig.
»Wenn Sie das Abenteuer suchen …« Er legt eine Pause ein, um der Wirkung willen, und knurrt: »Dann sind Sie bei uns genau richtig.« Er hat sich auf ein Mädchen in der vordersten Reihe eingeschossen, dessen weiße Bluse weit aufgeknöpft ist und ein tiefes, hübsch gebräuntes Dekolleté preisgibt. Sie hat lange blonde Haare und große blaue Augen und scheint jedes seiner Worte mitzuschreiben.
»Zeigen wir ihnen die DVD , Steve«, sage ich fröhlich und zerre ihn weg, bevor er anfängt zu sabbern. Der Raum wird abgedunkelt, und auf dem Bildschirm hinter uns beginnt unser erster kleiner Film.
»Schlaues Völkchen«, flüstert Steve, als er sich neben mich setzt. »Ich bin beeindruckt.«
Beeindruckt wovon? Ihrer Körbchengröße?
»Woher willst du wissen, dass sie schlau sind?«, frage ich. »Wir haben doch noch gar nicht mit ihnen gesprochen.«
»Man sieht es in ihren Augen«, sagt Steve leichthin. »Ich bin schon lange genug dabei, um wahres Potential erkennen zu können. Dieses blonde Mädchen in der ersten Reihe macht einen vielversprechenden Eindruck. Wirklich vielversprechend. Wir sollten ihr ein Stipendium anbieten, bevor uns die anderen Pharmafirmen zuvorkommen.«
Du meine Güte. Als Nächstes verspricht er ihr ein sechsstelliges Gehalt.
»Wir sollten mit allen über mögliche Stipendien sprechen«, sage ich ernst. »Und du solltest vielleicht versuchen, nicht jede einzelne Bemerkung direkt an ihre Brüste zu richten.«
Das Licht geht an, und Steve tritt vor, schiebt seine Ärmel noch weiter hoch, als wollte er Holz hacken, um ganz allein eine Hütte zu bauen.
»Ich möchte Ihnen einige unserer neuesten Entwicklungen vorstellen und einen kleinen Einblick in Projekte geben, die wir in Zukunft angehen wollen. Vielleicht ja mit Ihrer Hilfe.« Er zwinkert dem blonden Mädchen zu, und sie lächelt höflich zurück.
Auf dem Bildschirm erscheint die Darstellung eines komplizierten Moleküls.
»Sicher sind Sie alle mit Onium-Polyhydrofluoriden vertraut.«
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