Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
sich auf. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so viele so hübsch manikürte Hände gesehen.
»Okay. Der Reihe nach. Los geht’s.«
Zwei Stunden später habe ich mir die Lebensläufe von etwa dreißig Studenten angesehen. (Sollte Deborah sie bei ihren Lebensläufen beraten haben, gehört sie gefeuert. Mehr sage ich dazu nicht.) Ich habe eine Fragestunde zu Rentenversicherungen und Steuererstattungen und Freiberuflichkeit abgehalten. Ich habe alle Ratschläge gegeben, die diesen Kindern helfen könnten. Und im Gegenzug habe ich viel über manche Bereiche gelernt, von denen ich absolut keine Ahnung hatte, zum Beispiel: 1.) wie man es hinbekommt, dass jemand im Film verwundet aussieht. Und 2.) welche Schauspielerin, die momentan gerade in London dreht, ganz nett zu sein scheint, aber ihre Maskenbildner total mies behandelt. Und 3.) wie man einen Grand jeté tanzt (dem war ich nicht gewachsen).
Jetzt habe ich die Themenwahl freigegeben, und ein blasses Mädchen mit pinken Strähnen im Haar beklagt sich darüber, wie teuer dieser neue, absolut kratzfeste Nagellack ist und wie schwer es ist, über die Runden zu kommen, wenn man seinen eigenen Beauty-Salon eröffnen möchte. Ich höre zu und versuche, hilfreiche Anmerkungen zu machen, doch meine Aufmerksamkeit wandert immer wieder zu einem anderen Mädchen, das in der zweiten Reihe sitzt. Ihre Augen sind gerötet, und sie hat noch kein Wort gesagt, fummelt nur an ihrem Handy herum, putzt sich die Nase und tupft ihre Augen mit einem Taschentuch.
Es gab da einen Moment während der Fragestunde, in der ich selbst ein Taschentuch hätte brauchen können. Ich sprach über Urlaubsansprüche, und schon kam mein ganzes Elend wieder hoch. Ich hatte mir meinen Urlaub aufgespart. Drei Wochen. Ich dachte, ich bräuchte ihn für meine Flitterwochen. Ich hatte sogar schon diese traumhafte Unterkunft auf St. Lucia gefunden …
Nein, Lottie. Nicht . Lass es sein. Lass es, lass es einfach! Ich blinzle angestrengt und konzentriere mich wieder auf das Mädchen mit den pinken Strähnen.
»… meinen Sie, ich sollte mich auf Augenbrauen spezialisieren?«, fragt sie mit sorgenvollem Blick.
Oh Gott, ich habe gar nicht richtig zugehört. Wie sind wir bei Augenbrauen gelandet? Ich will sie schon bitten, die Hauptpunkte noch mal zusammenzufassen, damit auch die anderen daran teilhaben können (was immer gut funktioniert), als das Mädchen in der zweiten Reihe ein lautes Schluchzen von sich gibt. Ich kann sie nicht mehr ignorieren.
»Hi«, sage ich sanft und winke, um sie auf mich aufmerksam zu machen. »Entschuldige. Alles okay?«
»Cindys Freund hat gerade mit ihr Schluss gemacht.« Ihre Freundin nimmt sie schützend in den Arm. »Darf sie nach Hause gehen?«
»Natürlich!«, sage ich. »Absolut.«
»Aber kriegt sie den Schein trotzdem?«, meldet sich eine andere Freundin zu Wort. »Denn in einem Kurs ist sie schon durchgefallen.«
»Das ist alles seine Schuld«, sagt die erste Freundin scharf, und etwa zehn Mädchen nicken zustimmend und murmeln Sachen wie: »Aber echt« und »Wichser«.
»Zwei Jahre waren wir zusammen.« Das blasse Mädchen schluchzt schon wieder. »Zwei Jahre. Ich hab die Hälfte seiner Referate für ihn geschrieben. Und plötzlich meint er: ›Ich muss mich auf meine Karriere konzentrieren.‹ Dabei dachte ich, er wollte mit mir zusammen sein.« Sie weint so bitterlich, dass es sie schüttelt, und ich starre sie an, mit Tränen in den Augen. Ich kenne ihren Schmerz. Ich kenne ihn so gut.
»Aber natürlich kriegen Sie Ihren Schein«, sage ich warmherzig. »Ich werde Sie sogar besonders hervorheben, weil Sie teilgenommen haben, obwohl Sie offensichtlich unter mentalem Stress stehen.«
»Das würden Sie tun?« Cindy lächelt mich verheult an. »Wirklich wahr?«
»Aber du musst mir gut zuhören, okay? Du musst dir anhören, was ich zu sagen habe.«
Ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, vom Thema abzuweichen. Eine universelle Wahrheit zu vermitteln, nicht über Rentenansprüche, nicht über Steuervergünstigungen, sondern über die Liebe. Oder die Nicht-Liebe. Oder wie sich dieser Zwischenzustand nennen mag, in dem wir uns gerade befinden. Ich weiß, dass es eigentlich nicht meine Aufgabe ist, doch dieses Mädchen muss es wissen. Sie muss es wissen. Mein Herz klopft. Ich fühle mich edel und beseelt, wie Helen Mirren oder Michelle Obama.
»Ich will dir eins sagen«, beginne ich. »Von Frau zu Frau. Von Leidensgenossin zu Leidensgenossin. Von Mensch zu
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