Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
Mensch.« Ich blicke ihr tief in die Augen. »Du darfst dir von einer Trennung nicht das Leben kaputt machen lassen.« Ich bin direkt aufgerüttelt. Ich bin mir meiner selbst so sicher. Ich brenne vor Mitteilungsbedürfnis. »Du bist stark.« Ich zähle die Punkte an meinen Fingern ab. »Du bist unabhängig. Du hast dein eigenes Leben, und du brauchst ihn nicht , okay?«
Ich warte, bis sie flüstert: »Okay.«
»Jeder von uns hat schon die eine oder andere Trennung hinter sich.« Ich spreche lauter, um den ganzen Saal zu erreichen. »Tränen sind keine Lösung. Und es ist auch keine Lösung, Schokolade zu futtern oder Rachepläne zu schmieden. Man muss das alles hinter sich lassen. Weißt du, was ich nach einer Trennung jedes Mal gemacht habe? Ich habe meinem Leben eine neue Richtung gegeben. Ich habe mir ein spannendes Projekt gesucht. Ich habe mein Äußeres verändert. Ich bin umgezogen. Denn ich habe mein Leben selbst in der Hand. Das ist der entscheidende Punkt.« Ich schlage meine Faust in die offene Hand. »Nicht irgendein Typ, der eigentlich ein Wichser ist.«
Ein paar Mädchen applaudieren, und Cindys Freundin jubelt: »Das habe ich auch gesagt! Der Typ nimmt nur unnötig Platz weg.«
» Keine Tränen mehr«, sage ich mit Nachdruck. » Keine Taschentücher mehr. Keine ständigen Blicke nach dem Handy, um nachzusehen, ob er angerufen hat. Keine Schokolade mehr. Bring dein Leben auf Vordermann. Auf zu neuen Ufern! Wenn ich das kann, kannst du es auch.«
Cindy glotzt mich an, als könnte ich ihre Gedanken lesen.
»Aber Sie sind stark«, schluchzt sie schließlich. »Sie sind wunderbar. Ich bin nicht wie Sie. Und das werde ich auch nicht sein, wenn ich so alt bin wie Sie.«
Sie betrachtet mich mit geradezu rührender Bewunderung, obwohl sie nicht so zu tun bräuchte, als wäre ich ein Dinosaurier. Ich meine, schließlich bin ich erst dreiunddreißig, nicht hundert.
»Aber natürlich wirst du das sein«, sage ich zuversichtlich. »Weißt du, früher war ich wie du. Ich war ängstlich. Ich hatte keine Ahnung, was aus meinem Leben werden sollte, wo mein Potenzial lag. Ich war ein achtzehnjähriges Mädchen, das durchs Leben stolperte.« Ich spüre, dass meine Allzweckmotivationspredigt in mir hochkommt. Reicht die Zeit dafür? Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Könnte klappen. Die Kurzversion. »Ich fühlte mich verloren. Genau wie dir jetzt zumute ist. Aber dann habe ich mir eine Auszeit genommen.«
Diese Geschichte habe ich schon ganz, ganz oft erzählt. Bei Schulveranstaltungen, Teambildungsseminaren, bei Vorbereitungskursen für Mitarbeiter, die ein Sabbatjahr einlegen. Ich erzähle sie immer wieder gern, und jedes Mal wird mir dabei ganz kribbelig.
»Ich habe mir ein Jahr freigenommen«, wiederhole ich, »und mein ganzes Leben hat sich verändert. Ich habe mich als Mensch verändert. Ein einziger, entscheidender Abend hat mich verwandelt.« Ich trete ein paar Schritte vor und blicke Cindy direkt in die Augen. »Soll ich dir meine Lebenstheorie verraten? Wir alle haben bestimmte Aha-Erlebnisse, die uns auf den Weg bringen. Ich hatte mein Aha-Erlebnis in meinem freien Jahr. Man braucht nur seinen eigenen, großen Moment. Und den wirst du auch erleben.«
»Was ist passiert?« Mit offenem Mund starrt sie mich an, genau wie alle anderen. Ich sehe sogar, dass einige ihre iPods ausstellen.
»Ich habe in einer Herberge auf Ikonos gewohnt«, erkläre ich. »Das ist eine griechische Insel. Diese Herberge war voller Weltenbummler, und ich blieb den ganzen Sommer. Es war ein magischer Ort.«
Jedes Mal, wenn ich diese Geschichte erzähle, beschert sie mir dieselben Erinnerungen. Morgens aufzuwachen, mit der gleißenden Sonne im Gesicht. Salzwasser auf sonnenverbrannter Haut. Bikinis, die zum Trocknen über klapprigen Fensterläden hängen. Sand in meinen abgelatschten Espadrilles. Frische Sardinen, am Strand gegrillt. Jeden Abend Musik und Tanz.
»Jedenfalls ist eines Nachts ein Feuer ausgebrochen.« Ich zwinge mich in die Gegenwart zurück. »Es war schrecklich. Die Herberge war ausgebucht. Ich meine, das Haus war eine Todesfalle. Alles rannte auf die obere Veranda, aber die war zu hoch, um runterzuspringen. Die Leute haben geschrien, es gab da nicht mal Feuerlöscher …«
Jedes Mal, wenn ich an diese Nacht denke, durchlebe ich sie wieder – diesen Moment, in dem das Dach einbrach. Ich höre das Krachen und die Schreie. Ich rieche den Rauch.
Als ich weiterspreche, ist es totenstill im Saal.
»Ich
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