Das Höllenbild
stimmt.«
Nach wie vor war Myrna für mich ein Rätsel. Ich wollte sie jetzt noch nicht fragen. Bestimmt würde sie mir selbst alles berichten, wenn wir das Ziel erreicht hatten.
Meinem Gefühl nach lag es nicht mehr weit entfernt, denn vor uns hatte sich die Umgebung ein wenig verändert. Sie war dichter bewachsen, ich konnte höhere Sträucher sehen, die zusammen mit niedrigen Bäumen aus dem Boden wuchsen und im freien Gelände eine dichte Insel bildeten.
Der Bach floß seinen ewigen Weg. Er zerschnitt in einer weiten Rechtskurve das flache Land. Wir bewegten uns auf eine Hütte zu.
Als ich nach links schaute, da hatte mich Myrna im selben Augenblick anschauen wollen, und so blieb es nicht aus, daß sich unsere Blicke trafen.
Sie las die Frage in meinen Augen und gab mir bereits eine Antwort.
»Ja, wir sind gleich bei mir.«
Ich streckte den freien Arm aus. »Du wohnst dort?«
»Richtig, John.«
»Allein?«
»Ja.«
Die Antwort hatte neutral geklungen. Weder freudig noch irgendwie sauer, einfach nur so – wie bei einer Person, die es gewohnt war, alles hinzunehmen.
»Du fürchtest dich nicht?«
»Nein.«
»Keine Feinde?«
»So ist es.«
Ich fragte nicht mehr weiter und schaffte es auch, meine Gedanken abzustellen, denn ich wollte mich mit dem beschäftigen, was vor mir lag und nicht mit der Vergangenheit, mochte Avalon auch noch so interessant sein wie kaum etwas anderes.
Jetzt erkannte ich auch den schmalen Pfad, der in Windungen auf den dichter bewachsenen Platz zuführte. Die Frau ging jetzt schneller. Sie huschte mir weg, duckte sich unter bogenförmigen Zweigen weg und lief auf eine kleine Wiese zu, die sich vor dem Haus ausbreitete. Ich blieb stehen und mußte einfach lächeln, mußte mich aber wundern, denn das Haus paßte nicht.
Es war eine Hütte aus Holz. Eine Hütte, die in diese Gegend hineinpaßte. Zwischen den Holzstämmen klebte das dichte, grüne Moos wie farbige Pappe.
Mit einer ähnlichen Hütte hatte ich gerechnet, das war mir nicht neu, wohl aber das Dach dieser Behausung, denn es bestand aus geflochtenen Weidenzweigen.
Ich holte tief Luft, denn in dieser Umgebung lag ein besonderer Duft. Er kam mir noch frischer und schwerer vor. Er war einfach herrlich, er war wie eine Glocke, die über allem lag, und es tat mir gut, ihn einzuatmen.
Es gab auch eine Tür. Auf sie war Myrna zugeschritten und hatte sie geöffnet. Diese Tür war ebenfalls aus biegsamen Weiden angefertigt worden. Es gab kein Schloß, keinen Riegel, hier herrschte volles Vertrauen.
War das wirklich die Glückseligkeit, von der die Menschen träumten?
Ich konnte mich nicht damit anfreunden, obwohl die Umgebung bei mir wirklich keinen Argwohn erregte. Aber ich dachte wieder daran, daß es dort viel Schatten gab, wo auch viel Licht war.
Nur hatte ich den Schatten noch nicht entdeckt. Der war zuvor in der Vergangenheit zurückgeblieben, und er hatte den Namen einer Frau.
Arlene Shannon.
Durch sie war ich praktisch indirekt in diese Welt hineingelangt, aber davon wollte ich jetzt nichts mehr wissen. Myrna war wichtiger. Auf sie mußte ich mich konzentrieren.
In der offenen Tür war sie stehengeblieben. Es gefiel ihr nicht, daß ich zögerte. Das Gesicht unter dem Kopftuch zeigte ein weiches Lächeln.
Mit heftigen Bewegungen winkte sie mir zu, doch endlich zu ihr in die Hütte zu kommen. Ich wollte die Frau auch nicht länger warten lassen, machte mich auf den Weg und mußte den Kopf einziehen, denn der Eingang war nicht für große Menschen gebaut, und ich ging hinein in ein Halbdunkel, in dem es frisch roch.
Verwundert über diesen Geruch blieb ich stehen und schaute mich um.
Kräuter!
Kräuter, wohin ich auch schaute. Myrna hatte sie gesammelt. Sie standen in den flachen Regalen an den Wänden.
Sie hatten ihren Platz auf der schmalen Fensterbank gefunden. Sie bildeten eine Gruppe auf dem Tisch, vor dem zwei Stühle mit flachen Sitzflächen standen. Die gesamten Möbelstücke waren geflochten und gaben auch einen frischen Geruch ab. Durch offene Fenster konnte das Licht fließen, das sich auf dem Boden abzeichnete.
Ich sah keinen Ofen, ich entdeckte auch kein Bett, nur eine Schlafstätte, ein Lager eben.
»Willst du dich nicht setzen?« fragte Myrna.
»Wohin?«
»Du bist der Gast. Such es dir aus.«
»Danke.« Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder.
Myrna nahm den zweiten, so saßen wir uns gegenüber. »Du hast Fragen, John?«
»Das stimmt.«
»Dann stelle sie.«
Ich wiegte den Kopf.
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