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Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Titel: Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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Hawkwood fragte sich, warum er es nicht gemerkt hatte. Der kleine Büroangestellte hielt den Kopf gesenkt, als Hawkwood das Vorzimmer des Obersten Richters betrat, der ihn hierher beordert hatte. Nochmalerweise hätte Twigg von seinem Schreibkram hochgesehen und eine trockene Bemerkung losgelassen über die Kratzer, die Hawkwoods Stiefelabsätze auf dem Fußboden hinterließen, aber diesmal hatte Twigg die Ankunft des Runners kaum zur Kenntnis genommen. Er hatte lediglich kurz aufgesehen und gemurmelt: »Sie werden erwartet«, und sich wieder seinen Papieren zugewandt. Es waren keine guten Vorzeichen. Hawkwood machte sich Vorwürfe, dass er nicht aufmerksamer gewesen war. Er war allerdings gewarnt worden, dass der Oberste Richter nicht allein war.
    Als Hawkwood das Büro betrat, verließ James Read seinen Platz an dem hohen Fenster, wo er gestanden hatte. Es war Vormittag, und die Sonne schien herein. Hawkwood war überrascht, dass der Oberste Richter, der aus seiner Abneigung gegen kaltes Wetter kein Geheimnis machte, so ernst aussah. Normalerweise untröstlich über schlechtes Wetter, hätte er doch heute bei bester Laune sein müssen.
    Der zweite Mann sah sich um. Er war untersetzt, hatte kurzes, aschblondes Haar und ein breites Gesicht, auf dem sich ein Netz roter Äderchen über die Wangen zog. Er trug die Uniform eines Navyoffiziers und hatte die charakteristische gebückte Haltung vieler Seeleute. Hawkwood wusste, es war kein angeborener Fehler, nur ein Beweis für die niedrige Deckenhöhe auf bewaffneten Segelschiffen.
    Der Offizier musterte Hawkwood von oben bis unten: das narbige Gesicht, das altmodisch lange Haar, das im Nacken zusammengebunden war, die dunkle, gutsitzende Kleidung. Der Oberste Richter trat an seinen Schreibtisch. Wie immer war jede seiner Bewegungen gemessen und kontrolliert. Er setzte sich. »Officer Hawkwood, dies ist Captain Elias Ludd. An seiner Uniform sehen Sie, dass er zur Admiralität gehört.«
    Hawkwood und der Captain nickten sich kurz zu.
    »Genauer gesagt, zur Transportbehörde«, sagte James Read.
    Hawkwood schwieg. Die Transportbehörde war ursprünglich gegründet worden, um im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Schiffe, Truppen und Lieferungen zu befördern. Aber in den Kriegen gegen Bonaparte hatte sich das Tätigkeitsfeld der Behörde weit über den Atlantik hinaus ausgedehnt. Inzwischen waren die Aufgaben von Großbritanniens Militär und Navy ins Unermessliche angewachsen und die Versorgungsschiffe der Behörde fuhren auf allen Weltmeeren.
    »Die Admiralität hat uns um Hilfe gebeten.« Read nickte in Richtung seines Besuchers. »Captain, Sie haben das Wort.«
    »Danke, Sir.« Ludd sah kurz zu Boden, dann hob er den Kopf. »Bei uns ist ein Offizier verschwunden; sein Name ist Sark. Leutnant Andrew Sark.«
    Es entstand eine kurze Pause.
    Fragend sah Hawkwood zum Obersten Richter hinüber, dann wandte er sich wieder an den Offizier. »Ja und, wollen Sie, dass wir ihn finden? Ist das nicht Aufgabe der Navy?«
    Ludd wirkte bestürzt über diese wenig hilfreiche Bemerkung. James Read sagte: »Es gibt noch andere Dinge, die hier zu berücksichtigen sind. Wie Sie wissen, reicht die Zuständigkeit der Transportbehörde wesentlich weiter als das, was man gemeinhin als ihre Aufgabe ansieht.«
    Was zum Teufel sollte das heißen?, fragte sich Hawkwood.
    »Der Behörde obliegt auch die Verwaltung ausländischer Kriegsgefangener«, sagte James Read. »Wie Sie sich vielleicht erinnern, übernahm sie das Ressort von der Sanitätsbehörde.«
    Hawkwood überlegte, ob der Oberste Richter eine Antwort erwartete. Er entschied, dass es besser wäre, nichts zu sagen, gemäß dem Motto: Es ist besser, den Mund zu halten und für dämlich gehalten zu werden, als ihn aufzumachen und alle Zweifel zu beseitigen . Er beschloss, dass ein unverbindliches Nicken vielleicht genügen würde.
    »Ich bitte um Entschuldigung, Captain«, sagte Read. »Bitte fahren Sie fort.«
    Ludd räusperte sich. »Im Laufe der letzten Wochen hat die Anzahl der geflohenen Gefangenen plötzlich zugenommen. Wir beauftragten Leutnant Sark, zu untersuchen, ob es sich hierbei um einen Zufall handelte oder ob wir es mit einem organisierten Vorgang zu tun haben.«
    »Und er hat sich nicht zurück gemeldet?«, fragte Hawkwood.
    Ludd nickte, sein Gesicht war ernst.
    »Wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?«
    Ludd hob das Kinn. »Das ist es ja gerade – wir haben überhaupt nichts von ihm gehört. Es sind jetzt schon sechs

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