Das Hohe Haus
dem Medium Internet, das da gekommen ist, er spricht mit betulichem Vibrato und beharrt schlussfolgernd, allen müsse man sagen, dass es keine Sicherheit im Internet gebe, dass es »gefährlich« sein könne und unbeherrschbar. Zum Beherrschbaren der amerikanischen Geheimdienste kein taugliches Wort. In allen diesen Regierungsreden zeichnet sich die Zeit ab, in der Persönlichkeitsrechte verzichtbar gefunden werden, eine Zeit auch, die alte Verschwörungstheorien ins Recht setzt.
Demgegenüber ist die Opposition zunächst einmal sachlich besser informiert. Sie ist es, die auf die Sorgen der Industrie verweist und die Tragweite des Angriffs erläutert. Die Regierung demonstriert keine konsistente Haltung zur Ausspähung. Sie kann keine haben, so schmal ist das Feld, das ihr von der amerikanischen Regierung gelassen wird. Insofern nennt Lars Klingbeil ( SPD ) es nicht umsonst ein »Highlight« der ganzen Legislaturperiode, dass er ausgerechnet Innenminister Friedrich um mehr Sicherheit bitten müsse. Als schließlich Armin Schuster ( CDU / CSU ), mit beiden Unterarmen schwer auf das Rednerpult gestützt, die Liste der Terroranschläge der letzten Jahre in den USA und in Großbritannien vorliest, wird selbst die Tribüne unruhig und mag die Mittel nicht durch den Zweck heiligen. Er aber findet die ganze Situation künstlich skandalisiert, tut so, als gehöre die Bespitzelung notwendigerweise zu einem Sicherheitskonzept – Kritiker hätten eine »einseitige Brille auf«. Offenbar kennt er sich nicht mal mit Brillen aus.
Da hört selbst die sonst so aufmerksame Justizministerin nicht mehr zu. Die Anfrage drängt, sie ist außerplanmäßig einberufen worden, sie stößt auf das direkte Interesse der Bürger, und man erfährt fast nichts als: Die Regierung hat keine Informationen, beschönigt nachträglich, räumt ein, »sollten Rechte verletzt worden sein«, »brauchen wir lückenlose Aufklärung«, und vermittelt sonst den Eindruck, dass sie an einem echten Schutz von Freiheitsrechten desinteressiert ist. Für diese ist gekämpft worden wie für dies Parlament, das auch zu ihrem Schutz da sein sollte. Jetzt werden sie kampflos aufgegeben, das ist der Eindruck.
Es gehöre nun einmal zur Natur von Geheimdiensten, meint schließlich der Redner der CSU , dass ihre Informationen geheim seien, und so fällt die Debatte, nachdem sie von der Bedrohung der Freiheitsrechte bis zum Verlust ihres Gegenstandes jede Position einmal ausgespielt hat, zuletzt in sich selbst zusammen. Die Überwachung aber bleibt. Hinter der Rückseite des Bundesadlers versammelt sich gerade eine Schülergruppe, einige von ihnen fotografieren gerade mit Teleobjektiv konspirativ in den Plenarsaal hinein.
Donnerstag, 27 . Juni, 9 Uhr 02
Nelson Mandela wird künstlich beatmet. Edward Snowden befindet sich auf dem Moskauer Flughafen, wurde aber dort schon länger nicht mehr gesichtet.
Das Parlament ist heute so gut besetzt wie selten. Die Tagesordnung verzeichnet Punkte von 9 Uhr morgens bis andern Tags 8 Uhr früh. Präsident Norbert Lammert ermahnt die Abgeordneten, heute nur das Dringlichste zu sagen. Die Regierungsbank ist komplett, es ist die letzte große Sitzung vor der Sommerpause. Vor der Wahl im September folgen dann nur noch zwei außerordentliche Sitzungstage.
Die Presse hatte es zum Tag des Showdowns zwischen Merkel und Steinbrück stilisiert. Die Kanzlerin nimmt im hellbeigen Blazer auf der Kommandobrücke Platz und sackt zusammen. Ihr Herausforderer begrüßt per Handschlag jeden und jede, die hinter ihm sitzen. Die Fotografen besetzen die Rampen. Sie hatten schon draußen am Fuhrpark ihre Objektive auf jeden Wagen gerichtet, die Parade abgenommen wie ein Star-Defilee.
Im Plenarsaal ist die Stimmung geradezu übermütig. Dann tritt mit Angela Merkel die Direktorin ans Pult und überreicht sich selbst das Zeugnis, das beste. Zum Kontrast wird die Politik des Gegners verzerrt dargestellt. So viel Beugung der Wahrheit braucht sie also doch. Das Selbstlob aber beantwortet die Regierungsfraktion frenetisch klatschend. Werden die Zwischenrufe zu laut, setzt Merkel im selben Satz noch einmal leiser an, dann noch leiser. Sobald dort unten etwas passiert, klackern die Auslöser der Kameras. Wenn man aber hinschaut, dann hat sie bloß gestikuliert.
Ihre Rede klingt staatsmännisch, ist aber lustlos, unambitioniert und voller Satzbausteine. Natürlich verweist die Kanzlerin auf große Konferenzen, Treffen mit Obama, Verhandlungen auf
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