Das Hohe Haus
internationaler Ebene, Bühnen, auf denen Steinbrück nicht vertreten war. De Maizière scherzt unterdessen mit Kristina Schröder. Merkels Rede erntet kaum Zwischenrufe, mal ein Hohnlachen, ein Kopfschütteln. Sie gibt nicht bloß eine »Regierungserklärung zum G 8 -Gipfel und europäischen Rat«, sie bilanziert ihre Amtszeit. Altmaier gähnt lange mit unbedecktem Mund. Die Kanzlerin spricht mit Nachdruck auf jedem Satzteil: »Ich habe darauf hingewiesen, dass schon Jacques Delors darauf hingewiesen hat …«
Wie selbstverständlich überbrückt sie den September, spricht vom Oktober, als liege kein Wahltag dazwischen. Sie pflegt die verbeamtete Form der Souveränität, die nur noch phlegmatisch verteidigt wird, weil es mehr nicht braucht. Vielleicht ist dies tugendhaft, solide, der Stil dieser Zeit, aber mich sediert es wie ihr Mantra, das sie auch jetzt wiederholt: Man solle und werde aus der Krise stärker herausgehen, als man hereingekommen ist, wie in Deutschland, also in Europa.
Sie psychologisiert, nennt, was »Bankenkrise« ist, lieber »Vertrauenskrise«, appelliert, wir müssten wachsam sein, formuliert wie ein Hauswart. Der aber kennt und nennt wenigstens seine Gegner. Merkel weiß, in dieser Situation muss man im Subtext eine Furcht vor dem Verlust des Jetzigen schüren, muss Kontinuität als Offenbarung anbieten. Obendrein ist sie noch unablässig »überzeugt«, meist unter Prämissen, die nicht befragt werden dürfen – »wenn wir so weitermachen«, dann werde uns nichts fehlen, das ist der quasi-religiöse Sinn. Dann packt sie ihre Rede in eine dicke schwarze Mappe, registriert den lang anhaltenden Beifall kaum, lächelt und erlischt.
Es ist nicht Unbeholfenheit, es ist Kalkül: Die Kanzlerin hält Reden weitgehend frei von Ideen, selbst frei von Einfällen, weil sie sie nicht braucht. Lieber redet sie in Feststellungen oder hält bloß scheinbar den Sprechverkehr aufrecht, bewegt die Saalluft durch Einatmen-Ausatmen. Im Grunde sabotiert sie das Kommunikationsmodell, denn sie ist nicht die, die spricht: die Sprecherin lobt sich unablässig, doch eitel ist Merkel nicht. Sie sieht auch kein Gegenüber, denn dieses wäre von so viel Eigenlob nicht zu bewegen, und sie spricht dezidiert unambitioniert, wie eine, in der die Sprache kein Zuhause hat. Es ist das Erfolgsrezept der Glanzlosigkeit, also auch eines Landes, das sich im Pragmatismus feiert.
Wenn sie sagt, »ich bin fest überzeugt«, weiß man, was jetzt kommt, ist weder fest noch überzeugt oder aber der Kategorie der Überzeugung entzogen. Sie erinnert an die Firmenchefs in der Werbung, die sagen: »Dafür stehe ich mit meinem guten Namen.« Sie hat sich emporgearbeitet zu einer Manifestation politischer Gestaltlosigkeit, und eben dadurch ist sie politisch in dieser Zeit, die keine Charaktere, keine Schurken, keine Erlöser sucht, eher Sachbearbeiter, morphologisch schwächer differenzierte, reibungsarme Instanzen, die Macht durch Zuschreibung bekommen. Man bewundert an ihnen, was ihnen angetragen wurde, nicht, was sie sind. Das ist banal und genau darin nicht einmal erschreckend.
Der ihr am Pult nachfolgende Peer Steinbrück ( SPD ) beginnt mit einem Scherz, den man zunächst für verunglückt hält: Fritz Erler habe auf die Regierungserklärung von Ludwig Erhard ehemals sinngemäß geantwortet: »›Ihre Rede, Herr Bundeskanzler, war sehr reziplikativ.‹ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des B 90 / DIE GRÜNEN – Unruhe.) Daraufhin gab es eine ähnliche Unruhe wie jetzt, weil sich alle fragten: Was heißt ›reziplikativ‹ eigentlich? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD ) Daraufhin sagte Fritz Erler: ›Das heißt gar nichts; das spricht sich nur so schön.‹«
Die Pointe kommt also sicher, auch die Anschlüsse sind gelungen, denn Steinbrück vollendet, nimmt die Langeweile der Merkel-Rede auf, entlarvt den Stehsatz, die Wiederholungen, bemerkt, man habe den Eindruck, »dass man diese Regierungserklärung schon drei-, viermal gehört hat. Das ist auch der Grund dafür, dass die Hälfte der Regierungsbank absolut überwältigt ist, allerdings vom Schlafbedürfnis; das sieht man denen an. Ich habe eigentlich erwartet, dass an irgendeiner Stelle in dieser Regierungserklärung der Satz kommt: Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis in Europa, meine Damen und Herren.« So beginnt die erste tatsächlich angriffslustige Rede des Herausforderers im Parlament, schraubt sich hoch
Weitere Kostenlose Bücher