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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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den Innenausschuss überwiesen wird, läuft in Rom ein Gottesdienst zur Verabschiedung von Papst Benedikt. Im Live-Ticker der Online-Dienste kann man dabei sein, wie er im Helikopter nach Castel Gandolfo fliegt. Benedikts letzte Worte sind: »Danke und gute Nacht.« Endet so nicht auch die »Truman Show«? Das Thema der unrechtmäßigen Millionenzahlungen an die Kirchen schafft es in keinen Dienst und in keine Zeitung.
    Es dämmert, vor dem grauen Himmel bewegen sich die Silhouetten durch die Kuppel, auch die Beleuchtung ist trüb wie der Winterhimmel. Immer noch werden neue Schulklassen auf die Tribünen geführt. Es gibt nicht viele Abgeordnete, die sich gleichermaßen für Unterlassungssünden gegenüber den Kirchen und für ein »effizienteres Tierarzneimittelgesetz« interessieren. So kommt es zum Auszug der vielen. Zurück bleiben die Vollblut-Landwirtschaftler. Gerne sprechen sie mit einer gewissen Ruppigkeit, fallen bei den bäuerlichen Themen in ihren Dialekt, gestikulieren mit der Faust, geben sich robust. Auch wird die Sprache leiblicher, wenn von der Mastdichte und der Mastdauer, von Fußballen- und Fußklauengesundheit, von Stallklima und Schlachtkörperuntersuchung die Rede ist, aber in Koben und Nutztierhaltung macht ihnen niemand etwas vor.
    Wilhelm Priesmeier ( SPD ) hat eineinhalb Jahre Diskussion im Ausschuss hinter sich. An deren Ende steht diese Debatte um Viertel vor acht am Donnerstagabend. Der Saal ist schwach besetzt. Die Jugendlichen auf den Galerien folgen dankbar der Veranschaulichung durch den Sozialdemokraten mit dem Ruhrpott-Slang, der die unverständlichen Entwürfe in etwas Fassbares zu verwandeln sucht. Ein Saaldiener lehnt am Geländer und hört zu, als täte er das zum ersten Mal. »Ich glaube, in diesem Haus ist niemand, der so viele Antibiotika verordnet hat wie ich«, sagt der Redner mit der Verachtung des Praktikers für die, die bloß schlau daherreden. Er dagegen spricht von Ursachen und Haltungsbedingungen, und plötzlich ist Stallgeruch im Saal. Selten hat jemand bei einem Thema so viel Boden unter den Füßen wie dieser Tierhalter, der die Schweinehaltungshygieneverordnung auswendig und den Gegner niederreden kann mit einem: das »fehlt Ihnen«, das »fehlt Ihnen komplett«, »ich kann Ihnen sagen, wie das funktioniert«, »komplett«.
    Der Rücken schmerzt, der Hintern ist durchgesessen, mein Stall ist diese Tribüne. Das Liebespaar vor mir hält sich umschlungen, hört zu, als sei man für die Tiere hier. Zwischendurch krault er ihr den Rücken. Doch, die Emotionen kochen selbst nach 20  Uhr höher, wenn es um Tierhaltung geht. Sie werden erst wieder abebben, wenn es nachher um die UN -Konvention für die Rechte älterer Menschen gehen wird.
    Die Garderobiere studiert immer noch das ausgehängte Faltblatt mit den »Flaggen der Welt«. Unten im Parlamentsrestaurant sitzt nur ein Pärchen. Eine Klaviermusik donnert von der Decke. Es ist jetzt halb neun, einige Tische sind schon fürs Frühstück eingedeckt. Der Junge am Nebentisch spricht und spricht, die Blondine bestätigt alles mit einem Grunzen eine Oktave tiefer. Auf den Monitoren sieht man die Debatte weitergehen, sie könnte irgendwo sein. Die Musik ist nicht wiedergekommen, auf jedem Tisch steht eine Gerbera und welkt unter so viel Rede.
    Als ich zurückkehre, wirkt das Licht heller. Das Thema ist das alte. Auf den Tribünen sitzt nur noch eine einzige Schulklasse, aber die Abgeordneten sind noch munter genug für den Applaus. Es ist 21  Uhr. Warum fehlen die öffentlichen Personen immer zur späten Stunde? Eine Schülerin schläft auf der Schulter der Nachbarin. Zwei Halbwüchsige haben begonnen, die Rede des CSU -Abgeordneten Alois Gerig zu dirigieren, weil sein Tonfall so lustig ist und weil er selbst sich zu dirigieren nicht aufhören kann. »Besserwisser und Theoretiker« sind sein Feindbild, »Tierkomfort« ist sein Ideal, und seine Helden sind »unsere Landwirte«, denn »sie versorgen uns mit Lebensmitteln und pflegen ganz nebenbei unsere schöne Kulturlandschaft«.
    Man blickt auf die Weißschöpfe der CDU / CSU -Fraktion, auf die nackten Tonsuren, die schwarzen Anzüge. Man blickt, zwei Blöcke weiter, auf die farbenfrohe Linke, die schon aus Überzeugungsgründen Rot trägt, so wie der Landwirt Hornknöpfe. Ein Redner sagt eben: »Wir sollten in diesem Hause …« Da flackert er wieder auf, der Respekt, der die Institution meint, das Hohe Haus, das manchmal erhaben ist, manchmal bloß eine Kneipe.

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