Das Hohe Haus
Begriff »Weltmacht« fällt. Er kennt sich im Thema gut aus, kann die Konflikte zu jedem Problem des Tages benennen. Noch sieben Minuten, das Plenum füllt sich rapide. Philipp Rösler schaukelt hospitalistisch auf dem Sessel Nr. 2 der Regierungsbank. Die Farbe seines Schlipses scheint er auf die Polsterbezüge abgestimmt zu haben.
Präsident Lammert beglückwünscht Luc Jochimsen ( DIE LINKE ) zum siebzigsten Geburtstag. Unter Applaus legt sie mehrfach die Hand auf ihr Herz und verneigt sich. Auf der Regierungsbank nimmt jetzt auch der Innenminister Platz, Altmaier folgt, dann Ramsauer, Hintze, Aigner. Die Parlamentarischen Geschäftsführer Volker Beck ( B 90 / DIE GRÜNEN ) und Thomas Oppermann ( SPD ) verlangen eine Absetzung des Tagesordnungspunkts zum Urheber- bzw. Leistungsschutzrecht. Sie monieren Unklarheiten, Formfehler, Veränderungen in letzter Minute. Dagmar Enkelmann ( DIE LINKE ) befindet, Rechte von Minderheiten seien mit Füßen getreten worden. Sie bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit von »gravierenden Veränderungen«, die von der Regierung nach abgeschlossener Ausschussarbeit in den Gesetzentwurf hineingeschrieben worden seien. Auch das gibt es. »Das, liebe Kolleginnen und Kollegen«, sagt sie, »ist die Arroganz der Macht.«
Die Abgeordneten spazieren weiter herein, Grüne und SPD applaudieren schon im Kommen. Auch wenn die SPD den Antrag nicht eingebracht hat, stützt sie ihn, aus Protest gegen die nachträglichen Retuschen. Die großen Journalistenverbände haben den Entwurf abgelehnt, und vor dem Brandenburger Tor findet zur gleichen Zeit eine Demonstration gegen ihn statt.
Man rüpelt herum, der Saal ist offensichtlich noch frisch. Man schreit, höhnt, spricht nachdrücklich und mit starken Gesten. Wir sind in Minute 20 . In Minute 23 ist der Antrag auf Verschiebung des Tagesordnungspunkts abgestimmt, das heißt abgelehnt. Geburtstagskind Jochimsen geht, die Regierungsbank leert sich, Hintze und Aigner schütten sich gerade aus vor Lachen. Nachdem der Antrag also abgelehnt wurde, folgt die Debatte. Dass sie das Gesetz im Bundesrat kippen werden, dass man dann neu verhandeln müsse, kündigen die Oppositionsparteien schon an. Verhandelt wird dennoch – für wen? Für uns Bürger, die wir uns die Nasen platt drücken an den Scheiben zu diesen Hohen Häusern, in denen unsere Vertreter gerade Pirouetten drehen? Denn wohlgemerkt geht es um ein Gesetz, gegen das alle relevanten Gruppen protestieren, das vernichtende Kritik auch in den Ausschüssen erntete. Selbst Volker Kauder ( CDU / CSU ), der Ausschussvorsitzende, räumt ein, »das Dilemma ist, dass wir einen großen Teil unserer Hausaufgaben nicht gemacht haben«.
Brigitte Zypries ( SPD ) steht in roter Jacke am Rednerpult, mustert, während sie spricht, die Regierungsbank, wo niemand zuhört. Was hier folgt, ist das Resultat aus drei Jahren Diskussion über das Leistungsschutzgesetz. Es geht um das ausschließliche Recht von Verlagen, Presseerzeugnisse oder Teile davon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen – »es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte«. Diese Ausnahme war noch in dieser Woche hinzugefügt worden. Es geht um kreative Kräfte, auch um Journalisten, von ihnen zähle ich drei auf meiner Tribüne. Zypries will wissen: »Was dürfen Suchmaschinen lizenzfrei anzeigen?« Sie bemängelt fehlende Klarheit, unklare Begrifflichkeit, diffuse Zuschreibungen: Was sind Presseerzeugnisse? Auch Blogs? Auch die Internetseiten von Bundestagsabgeordneten? Und wie viele Innovationen und Apps sind eigentlich noch denkbar, wenn alles lizensiert werden muss? Sie resümiert mit einem Wort von Montesquieu: »Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.«
Dass es dennoch gemacht werde, so rekonstruiert Petra Sitte ( DIE LINKE ), folge dem Druck des Medienkonzerns Springer, der das Thema im Koalitionsvertrag von Union und FDP durchgesetzt habe. »So viel zum Thema ›Machtverschiebung zwischen Medien und Politik‹, so viel zum Thema ›Erpressbarkeit von Politik durch die Macht der Medienkonzerne‹.« Sitte steht da in der abgewetzten Jeans, der olivgrünen Weste, schon stilistisch in Opposition. Ungeklärte Fragen schwirren durch den Raum, aber sicher ist: Finanzfragen sind gerade mitentscheidend für Rechtsbelange. Bis auf die Justizministerin haben jetzt alle Minister die Regierungsbank verlassen. Als Sitte endet, hört
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