Das Hohe Haus
von Antworten, anders gesagt: Abgeordnete fragen, Ressorts lesen vom Blatt. Sie fragen Dinge wie: »Ist das Bundesministerium der Verteidigung bzw. die Bundeswehr direkt oder indirekt an dem Projekt › SAGITTA – Open Innovation‹ von Cassidian, der Rüstungssparte der Firma EADS , beteiligt, und, wenn ja, in welcher Weise unterstützt sie die im Rahmen dieses Projekts geplante Erstellung eines UAV -Demonstrators und damit die Entwicklung einer Kampfdrohne?« Und sie antworten Dinge wie: »Mit dem Technologiedemonstrator sollen anhand eines Nurflügelkonzeptes innovative Antriebs- und Flugsteuerungskonzepte untersucht werden. Schon aus dem Begriff SAGITTA – lateinisch für Pfeil – ergibt sich ja, dass hier gerade dieses Spezifikum eines Nurflügelkonzeptes untersucht werden soll.« Warum dieser Informationsaustausch die Öffentlichkeit des Hohen Hauses braucht, bleibt sein Geheimnis.
Donnerstag, 14 . März, 9 Uhr 01
Der Winter ist zurück, der Schnee liegt hoch, die Temperaturen sinken wieder erheblich unter null. Das »Schneechaos«, ein deutsches Phänomen, legt die Flugplätze lahm und die Straßen. Am Vorabend ist der erste nicht-europäische Papst gewählt worden. Er nennt sich Franziskus. Norbert Lammert gibt eine Presseerklärung heraus in der Hoffnung, nun beginne »ein neues Kapitel der Kirchengeschichte und vielleicht auch eine Öffnung zur Welt und den Herausforderungen unserer Zeit«. Der neue, generalüberholte »Stern« erscheint. Renate Künast, erfährt man dort, »kann sich ein Leben ohne Zestenreißer nicht mehr vorstellen«. CSU -Generalsekretär Alexander Dobrindt nennt Schwule und Lesben »eine schrille Minderheit«. Philipp Rösler hat sich auf dem FDP -Parteitag behauptet, Dirk Niebel dagegen wurde degradiert. Am Vorabend begründete Peer Steinbrück bei Anne Will, warum er sozial glaubwürdig sei. Gerhard Schröder war seit 2005 erstmals wieder bei der Partei und ließ sich für die Agenda 2010 feiern.
Als ich die Tribüne betrete, steht auf der Ankündigungstafel: »Regierungserklärung zur Energieinfrastruktur.« Im Plenarsaal wogen die Stimmen gegeneinander. Philipp Rösler am Rednerpult schwebt auf einer Wolke der Zufriedenheit, in der er sich auch mimisch immer wieder auflöst. Die Zwischenrufe von Sigmar Gabriel und Bärbel Höhn sind laut und ironisch. Auch applaudieren die beiden synchron und demonstrativ. Ja, der Applaus wird ausgestellt. Rösler hangelt sich von Satz zu Satz, von Einwurf zu Einwurf. Andere fallen ein, verbeißen sich. Sie wittern seine Schwäche, aber der Minister spart sich Unterwerfungsgesten. Er spricht aus der Höhe seines Amtes, degradiert seine Gegner zu Anhängern der »Planwirtschaft«, was er, wie vieles, wiederholt. Und wiederholt. Auch hat er ermittelt, dass seine Gegner »kein Interesse an den Arbeitsplätzen in Deutschland haben«. Das glaubt zwar niemand, aber wo ein Politiker »Glaubwürdigkeit« beansprucht, heißt das ja nicht, dass er sich auch selbst glauben muss.
Sigmar Gabriels Replik spart nicht mit Standards, bemüht auch den unfrischen Witz noch einmal, Altmaier als »Schwarzen Peter« zu bezeichnen, und wenn er bloß »Frau Merkel« sagt, meint er es schon vernichtend. Vor allem aber orchestriert er das Lied von der großen Stagnation: »Sie haben dreieinhalb Jahre nichts getan, um (die Probleme) zu lösen.« »Keines der (…) Pilotvorhaben (…) haben Sie in Ihrer Regierungszeit bis heute umgesetzt.« » 16 der 24 Vorhaben von damals sind im Zeitverzug.« »Was haben Sie eigentlich die letzten dreieinhalb Jahre getan?« »Und was passiert? Gar nichts passiert.« »Sie stehen in Europa auf der Bremse.« »Sie verhindern«, Sie »stoppen«, »Sie setzen nichts um«, »Sie versagen komplett«. Die Steigerung davon ist psychopathologische Anamnese: »Was Sie da vorschlagen, ist doch irre.« »Weil Sie offenbar von allen guten Geistern verlassen sind, wollen Sie das jetzt im Schweinsgalopp durchsetzen. Sie müssen wirklich, Entschuldigung, nicht mehr ganz bei Trost sein.«
Der Grundfehler dieser Kaskaden ist Gabriels Fehleinschätzung der Wähler: In der Parlamentsarbeit mag »Stillstand« qualvoll wirken, für die Wählerschaft hat er in krisenhaften Zeiten keinen Schrecken. Mag sich die Opposition an den Blockaden der Regierung die Zähne ausgebissen haben – Bürgerinnen und Bürger wünschen sich vor allem die Wahrung des Bestehenden. Für sie ist die Trägheit des Netzausbaus kein Abwahl-Argument, ihre großen
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