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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Träume sind ausgeträumt, in das rosige Morgengrauen sozialdemokratischer Zukunftshoffnungen werden sie nicht reiten. »Stillstand« ist in diesen Zeiten einfach zu gut beleumundet.
    Vieles von dem, was nun folgt, kann man vom Blatt spielen: Die SPD schimpft, dass Merkel dieser Rede, die CDU , dass Steinbrück der ganzen Debatte fernbleibe. Bärbel Höhn ( B   90 / DIE GRÜNEN ) ruft: »Fahren Sie mal in die Eifel!« Georg Nüßlein ( CDU / CSU ) bevorzugt Bayern. Die präsidierende Göring-Eckardt trotzt mit verschränkten Armen der Springflut der Argumente. Das Ehepaar vor mir aber sieht sich an mit dem Gesichtsausdruck: »Habe ich es dir nicht gesagt?«
    Anschließend wird Rösler aufgefordert, »die Realität zur Kenntnis zu nehmen«. Aber er nimmt nicht einmal den Redner zur Kenntnis. Dann wird er bezichtigt, etwas »vollmundig« gesagt zu haben. Er schürzt unfreiwillig die Lippen. Jetzt hat er einen sehr dicken Aktenordner vor sich, korrigiert darin herum, die Linke im Nacken. »Ja, verflixt noch mal, dann machen Sie Ihren Job!«, herrscht ihn der Redner an. Eben das tut er offenbar gerade. Als er kurz aufsieht, treffen sich die Blicke von Angreifer und Angegriffenem in vollendeter Indifferenz. Es ist mucksmäuschenstill in diesem Blick, geradezu lyrisch, dann rollt die nächste Welle der Attacke.
    FDP -Mann Meierhofer schwadroniert, seine Partei habe »in den Jahren 2000 , 2002 , 2005 wie auch im Jahr 2013 die gleichen Ziele gehabt«. In dieser Zeitspanne propagierte die FDP de facto einen mittelfristigen Atomausstieg, dann einen mit gestreckter Mittelfristigkeit, dann einen revidierten Ausstieg, nach Fukushima dann einen raschen und kompletten Ausstieg und neuerdings eine vorsichtige Infragestellung auch dieses Ausstiegs. Anders gesagt, eine Rede muss sich nicht an der Realität messen, die sie beschreibt, sondern an der Funktion, die sie besitzt. Ihr Wahrheit abzuverlangen ist sentimental.
    Jetzt spricht der Redner von »vollkommener Unfähigkeit«, jetzt höhnt er: »Was haben Sie denn vorzuweisen?« Sein Ton ist aggressiv und herablassend, den Beitrag seines Vorredners nennt er ein »Daherschwafeln«, dann ein »Gefasel«. Es ist eine würdelose, ehrabschneidende Kraftmeierei. Rösler lehnt sich zurück, das Licht liegt auf seiner großen metallenen Gürtelschnalle, er wenigstens nickt dem Parteikollegen dankbar zu.
    Ein Abgeordneter der Linken attackiert mit sächsischem Akzent und unter Zuhilfenahme einer Dagobert-Duck-Parabel. Im Tonfall eines Comics arbeitet er sich durch bis zur bitteren Pointe: »Herr Minister, haben Sie sich erkannt?« Rösler, selbst ein Freund von Comic-Auftritten, hat sich nicht erkannt. Sein Blick auf den Redner zeugt von allenfalls anthropologischem Interesse. Was er sieht, könnte auch rührend sein: Vielleicht ist da ein Ehemann, der heute seinen Auftritt hat, ein Vater, der die Kinder stolz machen, ein Nachbar, der abends vor der Garage begrüßt wird. Dieser Redner muss ja nicht unrecht haben, aber manchmal ist es schwer, ein Argument vor dem Argumentierenden zu retten. Der schließt mit dem Satz: »Füllen Sie nicht die Geldspeicher der Spekulanten, sondern folgen Sie unseren Vorschlägen!« Doch Rösler hat schon Schwierigkeiten, sich selbst zu folgen.
    So geht es weiter. Alle schweifen in die Vergangenheit und feilschen um Dinge, die gewesen sind, die gesagt, die angekündigt oder versprochen wurden, aber niemanden mehr blamieren. Die Gegenwart ist einfach an der Vergangenheit gescheitert, aber das setzt den Werbewert der »Zukunft« nicht herab. »Erzählen Sie doch nicht solchen Unfug!«, poltert der Redner noch. Dann schwankt er stolz durch die Reihen der klatschenden Kollegen auf seinen hinteren Platz.
    Während jetzt ein Deeskalations-Rhetoriker der Regierungsfraktion die Karte Besonnenheit spielt, streunt Sigmar Gabriel durch die Reihen, grüßt einen Hinterbänkler mit der gereckten Che-Guevara-Faust. Ein Grüppchen lässt sich von ihm amüsieren, er klopft Schultern und bestellt eine Abgeordnete ein, die sofort ihre Tasche packt, während der Redner vorne Vorschläge macht, die man jetzt sofort umsetzen könne. Pragmatismus aber ist gerade nicht gefragt, auch bei den eigenen Leuten nicht. Die Polemik fällt aus, das bedeutet, dass die Lebenszeichen aus dem Plenum abebben, die Zwischenrufe ersterben. Der Redner hat sie alle so betäubt, dass selbst der Applaus bloß pflichtschuldig klingt.
    Hubertus Heil ( SPD ) spricht, eine weiße Karteikarte vor sich,

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