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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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es nicht.« Gitta Connemann ( CDU / CSU ) ruft: »Frau Nahles, hören Sie auf zu quaken!«
    Das Thema? Man ist bei der Gestaltung der Teilzeitarbeit. Die Rednerin am Pult deklamiert ihre Standpunkte. Die einzige Bewegung im Saal sind die Auf- und Absteigenden in der Kuppel. Unter dem Adler hängen zwei Fahnen in Sonnenschirm-Größe am Mast, links die deutsche, rechts die europäische. Der Mast der deutschen steht zwischen den Sitzen der letzten Reihen auf der Regierungsbank und ist aus Holz. Der Mast der europäischen steht neben den Sitzen der letzten Reihe der Bundesratsbank und ist aus Metall wie diese seltsame Spindel, die aus der Basis der Kuppel aufsteigt wie ein Schalltrichter, der alles hier Gesagte in die Wölbung entlässt, und als ergieße es sich von da in den Himmel.
    Diese spiegelverkleidete Spindel unter der Kuppel lenkt zwar das Tageslicht in den Plenarsaal. Auf Kunstlicht kann man trotzdem zu keiner Zeit verzichten, wurden doch Sichtblenden eingezogen, damit man den Abgeordneten nicht von oben auf den Kopf schauen oder ihre Displays heranzoomen könnte. Norman Foster selbst wählte für sein Gebäude übrigens eine biologische Metapher: »Der Reichstag ist wie ein Mensch: er hat ein Herz, einen Verstand und einen Körperbau, das gehört alles zusammen.« Das bedeutet, ohne diese Dachlösung würden Luft-, Licht-, Energiezufuhr zusammenbrechen. Zugleich aber sind die Menschen, die durch die Kuppel kommen, Teil des Baus, sein soziales Gesicht.
    Worum geht es in der Debatte? Ach so, um »Abo-Fallen«, Abzocke, unseriöses Inkasso, ein Thema, das RTL 2 -fähig ist, für das es den »Zuschaueranwalt« gibt und das hier gesetzlich gestaltet werden soll. Ein Parlament befasst sich dauernd mit Problemen, die im Leben des Einzelnen kaum je auftreten. Es setzt sich erst ein Bewusstsein des Problems, dann ein Ordnungsgedanke, der Wunsch nach einer Direktive durch, und plötzlich wächst dem Thema die Leidenschaft der Parlamentarier zu. Die Rednerin spricht eben als Anwältin für die Alten, die am Telefon oft überrumpelt werden, jetzt aber gerade die Tribüne verlassen.
    Die Abendsonne fällt satt und warm auf die Wand hinter dem Rednerpult. Dort tauchen jetzt die Schatten der Besucher auf wie in Platons Höhlengleichnis, ja, und für diesen Augenblick lässt sich das Gleichnis weiterdenken: Da ist die Idee von Menschen, da ist eine wahre Sonne der Erkenntnis draußen, da sind, theoretisch aufbereitet, die Schatten von Ideen, Menschen, Verbesserungen …
    Für die Debatte gilt unterdessen: Alle kommentieren den Disput lieber, als ihn zu führen. Wie soll es auch anders sein, wenn die Manuskripte fertig sind, ehe die Debatte beginnt, und man nicht wendig genug ist, jetzt noch auf die Vorredner einzugehen – zumal in einer Debatte, die die Eintracht orchestriert. Andererseits ist kein Problem zu klein, als dass man über ihm nicht einen Überzeugungskonflikt austragen könnte. Eigentlich Banales wird dramatisiert. Jede Gruppierung, die plötzlich im Zentrum des Interesses steht, macht aus dem eigenen »Casus« ein »Problema«. Die Einlassungen liegen inhaltlich oft ganz dicht beieinander, aber weil man ein Redemanuskript offenbar nicht freiwillig um schon Gesagtes kürzt, sagt man dasselbe einfach noch mal, nur in anderer Tonlage, meist noch entschiedener, damit es klingt, als sei es neu: »Betrug darf sich eben in Deutschland nicht lohnen.« Muss man auch die Sätze unbedingt sagen, deren Verneinung unsagbar wäre? Oder hängen alle diese pädagogischen Schwulstformen damit zusammen, dass zwei Drittel aller Deutschen in ihrem Leben schon einmal Lehrer waren?
    Man ist jetzt bei der Wohn- und Mietsituation von Studierenden. Nicole Gohlke ( DIE LINKE ) hält das Pult fest, als fiele es sonst auseinander. Dabei ist sie selbst es, die sich Haltung geben muss. Sie spricht zu schnell, ist nervös, aber dieses ungewollte Ausscheren aus der Routine bindet Aufmerksamkeit. Verkehrsminister Ramsauer erlaubt sich einen Zwischenruf, nennt »Quatsch« und »Unfug«, was sie sagt, unüblich für die Regierungsbank. Es folgt die Zwischenfrage eines CDU -Abgeordneten, dem sie unerwartet forsch, aber sachlich fundiert antwortet. Ja, vielleicht redet sie auch nur so schnell, weil sie so viel zu sagen hat, und das sagt sie mit erhobener Faust.
    Als Karl Holmeier ( CDU / CSU ) das Gesagte gleich »sozialistisch« nennt und befindet, dass es sehr wohl bezahlbaren Wohnraum für Studenten gebe, schütteln die Studenten auf der

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