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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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»Pooling und Sharing« oder »Smart Defense« nicht zu erkennen. Auch fehlt der anbiederische Kotau vor den Soldaten nicht, von denen der Redner der FDP findet: »Die gefallenen Soldaten und ihre Angehörigen gehören in die Mitte der Gesellschaft.« Was ein solcher gefallener Soldat in der Mitte der Gesellschaft macht, weiß der Redner allein. Vielleicht stellt er dort ja einen Einsatz in Frage, der nicht »Krieg« genannt werden durfte, als man die Soldaten zum Einsatzort schickte, und der »Krieg« hieß, als sie dort eintrafen. Es gibt aber durchaus Soldaten, die die Bevormundung fühlen, mit der ihnen unterstellt wird, sie seien eine Befehle erfüllende, unkritische und auch im Kampfeinsatz alles blind affirmierende Truppe.
    Unterdessen entfaltet das Parlament sein Farbenspiel zur Bildungs- und Integrationspolitik und malt mit breitem Pinsel: Dorothee Bär ( CDU / CSU ) trägt die höchsten Schuhe zum leuchtendsten Kleid in Violett, das Flagiolett ihrer Stimme färbt der fränkischste Akzent, und auch rhetorisch favorisiert sie den Superlativ: »Mehr Integration als wie wir geleistet haben, kann man sich gar nicht vorstellen!« Man kann. Ekin Deligöz ( B   90 / DIE GRÜNEN ) etwa folgt der Vision einer Gesellschaft, die allen Kindern gleiche Chancen einräumt. Sie ist engagiert, sie kennt sich aus, sie leidet, und unter allem, was Menschen auch im Bundestag von sich zur Erscheinung bringen, ist es das nicht unterdrückbare Leiden, das immer entwaffnend wirkt. Jede und jeder verrät einen anderen Hintergrund des Engagements. Immer kann man die wirklich Beteiligten von den Strategen unterscheiden.
    Bildungsministerin Johanna Wanka ist gerade weder das eine noch das andere. Sie ist heute im hellsten Lindgrün erschienen, hat die Farbe ihrer Schuhe auf die ihrer Haare abgestimmt und wirkt bisweilen wie eine dieser Arztgattinnen in der Werbung, die aus dem Garten kommen und sagen: »Gebissreiniger, Gott ja, ich habe viele ausprobiert!« Dabei ist sie angriffslustig, disqualifiziert einen »Quatsch«, den sie gelesen habe. In der Quintessenz aber handelt es sich auch hier um das Schönreden dessen, was im Land gerade »Bildung« heißt und offenbar nur von der Regierung ein gutes Zeugnis bekommt. Aber die schreibt es sich ja auch selbst.
    Gerhard Schick ( B   90 / DIE GRÜNEN ) setzt ein mit den faulen Stellen an Erdbeeren. Gerade kommt eine Schülergruppe rein, die Mädchen alle mit nackten Beinen. Erdbeeren im Bundestag? Aha. Kurz hat er alle Aufmerksamkeit. Kaum sind die Früchte den Paragraphen gewichen, beginnen die Blicke zu schweifen, dann leert sich die eine Tribüne wie bei einer Zwangsräumung. Carsten Sieling ( SPD ), ein grauer Brillenträger mit keckem roten Schlips, hat einen hohen Stapel Gesetze mitgebracht, auf dem er sich abstützt, um es einmal »sinnlich erfahrbar« zu machen, wie viel die Verschleppung von Gesetzen an Kosten verursacht habe. Meine Nachbarin flüstert mir zu, so einer sei ein verkappter Exzentriker, der bestimmt ein irres Hobby habe, am Abend im Trainingsanzug auf dem Sofa sitze und beim Eurovision Song Contest für Moldawien votiere. Sein Habitus jedenfalls meint schon das Millionenpublikum, doch ist der Saal fast leer.
    Der nächste Redner ist ein weißhaariger Jüngling, der gerne mit verteilten Rollen spricht, mit der natürlichen Stimme aber mehrfach am Diskant kratzt. Über seinen Karteikarten reibt er sich die Hände, verschiebt imaginäre Blöcke. Der auf ihn Folgende kommt mit einer Kaskade der Abkürzungen und möchte, wie er sagt, »diesen Zeitgeist mal hier in die Runde werfen«.
    Als sich das Hohe Haus schließlich noch der »Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten« zuwendet, wird es volkstümlich. Mit dem überverpflegten Körper in den Sandaletten und der Neigung, mit dem Daumen zu gestikulieren, ist die Rednerin eine pastorale Hüterin der familiären Werte: »Die Familien sollen sich morgens für ein gemeinsames Frühstück zusammensetzen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Fall möglich ist, aber man kann den Kindern zumindest einen schön gedeckten Frühstückstisch bieten, so dass sie sich an den Tisch setzen und frühstücken. Die Eltern müssen darauf achten, dass dies auch getan wird. Wenn das nicht möglich ist, kann man auch zusammen Abendbrot essen. Das fördert Ernährungsbildung zuallererst.« Nur: »Essen müssen die Kinder selbst.«
    Das Ganze ist gemeint als ein Plädoyer gegen das freie Schulessen, bleibt aber selbst von den eigenen Leuten

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