Das Hohe Haus
belächelt und weitgehend unbeklatscht. In diesem Debattenteil entstehen Einzelbilder der Familie, vom diskriminierungsfreien Abendessen bis zu den Zutaten der Pausenbrote. Als aber eine CDU -Abgeordnete sagt, beim Belegen der Brote zeige sich eine »große Verunsicherung«, wird es Zeit für mich zu gehen, unverunsichert.
Freitag, 17 . Mai, 9 Uhr
Russland liefert moderne Raketen an Syrien, Obama trudelt in innenpolitische Krisen. Die Kanzlei eines Opfer-Anwalts im NSU -Prozess wird mit Kot beschmutzt. Umweltschützer kritisieren den Roten Teppich in Cannes als eklatante Teppich-Verschwendung. David Beckham erklärt seinen Abschied vom Fußball. Der asiatische Marienkäfer breitet sich dramatisch aus.
Die gestrige Debatte erkenne ich im Zerrspiegel der Tagespresse kaum wieder. Da wird von vehementem Widerstand gegen de Maizières Erklärung und das »Euro Hawk«-Debakel berichtet. Aber es haben doch nur zwei Oppositionspolitiker gesprochen, und die SPD hielt sich kleinlaut zurück.
Die Konzentration im Saal ist gut. Man trifft sich zur »Aktuellen Stunde«, sucht den gemeinsamen Nenner wirklich. Die Protagonisten Altmaier und Trittin agieren ausgeglichen. Auch des Ministers »Regierungserklärung zur nuklearen Entsorgung« ist ohne Schärfe. Vielmehr appelliert er an den Gemeinschaftsgeist bei der Suche nach dem Endlager, legt sich Zurückhaltung auf, wirbt um die Wiederherstellung »verlorenen Vertrauens«. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der Landesherr der leckgeschlagenen Lagerstätte Asse II , spricht auch als Leidtragender der Fehler früherer Endlagerbestimmungen, der Fehler von Gorleben. Auch er bemüht Werte der Empathie, des »Vertrauens«. Das Muster der Debatte ist jetzt anders als sonst. Es geht um die unausweichliche Suche nach dem Gemeinsamen als Bedingung für die Lösung eines Problems.
Merkel folgt der Auseinandersetzung mit betenden Händen. Zwei Bundesländer haben ihre Bereitschaft zur Endlagerung signalisiert. Doch das Lob für diese beiden wird, da es sich um SPD -regierte Länder handelt, nicht mehr vom Beifall aller bedacht. Kein Applaus ohne Fraktionszwang. Angelika Brunkhorst ( FDP ) wirkt in ihrem grellgelben Leibchen zur schwarzen Lederjacke selbst wie ein nukleares Warnschild. Aus ihrem monotonen Singsang löst sich der Name »Gorleben« immer wieder, denn sie möchte diesen Standort weiter in die Suche einbeziehen, erntet Gelächter, als sie zwischendurch Baden-Württemberg zur »küstennahen« Region macht, und der große Verschiebebahnhof öffnet sich: Kommissionen werden gefordert, Konferenzen angesetzt, alle »laden alle ein« zur »dynamischen Öffentlichkeitsbeteiligung«, zum »Endlagersymposion«, in den Umweltausschuss, in die öffentliche Anhörung, und alle hoffen, dass da auch ein Volk ist, bei dem ihr Ruf nach Gemeinsamkeit ankommt. Und doch entwickelt das Parlament seine repräsentative Größe wieder da, wo die Probleme jenseits der Fraktionsgrenzen liegen, und sei es auch nur, weil fast alle Fraktionen Mitschuld am Problem tragen. Dort wird auch der Ruf nach Bürgerbeteiligung immer am lautesten.
Auch Jürgen Trittin ( B 90 / DIE GRÜNEN ) beginnt an der untersten Schwelle der Erregung, staatsmännisch, erklärend, biegt generös in einen Konsens ein, promoviert dazu seine Rechte in die Hosentasche und hebt die Linke als mahnendes gestisches Gewissen. Unter Aufwendung von allerlei Bekanntem spricht er schon eher zum Volk als zum Plenum, geht unter der Last der Überzeugung fast in die Hocke, bleibt gegenüber dem Umweltminister, der auch sein Nachfolger ist, versöhnlich und endet damit, dies einen »guten« Tag zu nennen. Gemessen an der Ratlosigkeit, die den Verbleib des Atommülls umgibt, ist es zumindest einer für das Parlament, wenn schon nicht für das Land.
Als schließlich Andreas Jung ( CDU / CSU ) noch einmal sagen muss, »dass die Kernenergie eine Technologie ist, die Risiken mit sich bringt«, dass es »Ängste bei den betroffenen Menschen« gibt und man »diese Ängste (…) weiterhin ernst nehmen« müsse, als sich schließlich Georg Nüßlein ( CDU / CSU ) daran berauscht, dass hier eine »große Chance« liege, die man »gemeinsam« ergreifen müsse, um zu »zeigen, dass Politik in Deutschland auch handlungsfähig ist«, da möchte ich doch wissen, wie sie alle ihre Reden in die Gemütslage ihrer Wahlkreise übersetzen, sollten dort Zwischen- oder Endlager konzipiert werden.
Mittwoch, 5 . Juni, 13 Uhr
Das zweite
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