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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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ich den Bericht nicht gelesen hätte, ist falsch. Ich habe ihn vor einiger Zeit gelesen, muss mich nur noch daran erinnern können.« Warum er dann erst vor einer Stunde vorlag, sagt er nicht. Doch ohnehin bleibt der Eindruck zurück, dass das Parlament nur selten eine vergleichbare Ausstellung von Ratlosigkeit erlebt.

Donnerstag, 6 . Juni, 9  Uhr
    Die Ungeschicklichkeiten von Uli Hoeneß bei seiner Selbstanzeige als Steuersünder kommen ans Licht. Die Flutkatastrophe währt an, der Sonnenschein ist strahlend. De Maizière wurde erst im Ausschuss, dann im Fernsehen verhört. Michael Jacksons Tochter Paris hat man nach einem Suizidversuch blutüberströmt in einem Pariser Hotel gefunden.
    Im Parlament geht es heute um die Situation der Kommunen. Basis ist ein Bericht der Regierung, in der sie sich selbst 92  Fragen stellt und nicht zuungunsten der eigenen Politik beantwortet. Gleich zu Beginn moniert Präsident Lammert, dass die Bundesratsbank auf nur zwei Plätzen besetzt sei, obwohl es um ein Thema gehe, das vor allem die Länder betreffe. Man könnte meinen, das Verhältnis zwischen Parlament und Kommunen sei ein gestörtes, haben diese doch, anders als die Länder, keine Vertretung. Ihre Expertise ist nicht gefragt.
    Angela Merkel war für zehn Minuten da, zog sich dann mit Volker Kauder rituell in eine hintere Reihe zurück. Auf ihrem Platz bleibt eine Kladde liegen, hinter ihrem leeren Sitz telefoniert der Kulturstaatsminister. Thomas Oppermann ( SPD ), frisch gekürtes Mitglied in Steinbrücks »Kompetenz-Team«, fordert eine Stärkung der Kommunen, Birgit Reinemund ( FDP ) findet, es waren »vier gute Jahre für Deutschland, vier gute Jahre für die Kommunen«. Sie sagt auch: »Wir müssen durch die gesamtstaatliche Brille schauen«, und da ihr Lammert zum Geburtstag gratuliert, steht sie stramm und sagt mit kleinen gemessenen, aber dezidierten Gesten: »Es ist mir ein Vergnügen, heute mit Ihnen allen älter zu werden.« Neumann telefoniert weiter, Merkel kehrt nicht wieder.
    Steffen Bockhahn ( DIE LINKE ) stimmt nicht in die Schelte der Kommunen ein. Er lobt sie vielmehr für das Verdienst, dass beim aktuellen Hochwasser kein Menschenleben zu beklagen war. Doch dazu klatscht nur die Linke. Der Redner bemerkt es spitz. Dann erzählt er die Geschichte des Ausbildungsschiffs und Kulturdenkmals »Georg Büchner«, das von der Hansestadt Rostock nicht erhalten werden konnte, weil die Sanierung fünf Millionen Euro gekostet hätte. »Dem Schiff wurde der Denkmalstatus entzogen. Es sollte nach Litauen geschleppt und abgewrackt werden. Dazu ist es nicht gekommen. Die ›Georg Büchner‹ ist schlicht abgesoffen«, und das vor genau einer Woche. »Sie ist damit ein Stück weit Sinnbild für die Lage der Kommunen in Deutschland.«
    Er spricht über Einsparungen in der Kultur, Orchesterzusammenlegungen, Auflösung ganzer Sparten am Theater, sagt: »Als Bach, Mozart und Bruckner ihre üppigen Konzerte geschrieben haben, haben sie nicht daran gedacht, dass es irgendwann klamme Kommunen geben würde, die sich keine Orchester mehr leisten können, um diese Konzerte auch zu spielen. Aber das kann ja nicht bedeuten, dass wir künftig auf Bach, Bruckner und Mozart verzichten. Wir brauchen auch um der Kultur willen eine angemessene kommunale Finanzausstattung.«
    Kulturstaatsminister Neumann telefoniert immer noch, er hat bis hierher kein Wort gehört vom Gesagten. Der Redner am Pult aber spricht sachkundig, materialreich, eindringlich von seiner Arbeit in Rostock, artikuliert die Not von unten, zählt haarsträubende Fälle von Kürzungen und Schließungen auf und beschwört das Parlament, sich der demokratischen Basisarbeit nicht zu verschließen: »Es ist vor allen Dingen auch ein Problem für die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland; sie muss nämlich zuerst von unten wachsen. Wenn wir nicht einmal mehr genügend Bewerberinnen und Bewerber finden, um die Kommunalparlamente voll zu besetzen, was ist das für ein Armutszeugnis für alle von uns?«
    Katrin Göring-Eckardt ( B   90 / DIE GRÜNEN ) übernimmt. Auch sie beginnt mit den Katastrophenszenarien aus den Hochwassergebieten, spricht von Fassaden, Turnhallen, von 1100 Schwimmbädern, die geschlossen wurden. All dies kennt sie aus eigener Anschauung, weiß, wie es aussieht und wie es riecht an den Orten. Ihre Betroffenheit ist anschaulich, und zwischendurch ist sogar der Applaus, den sie bekommt, allgemein. Neumann telefoniert immer noch. Erst als

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