Das Hohelied des Todes
lachte sie los.
»Den Spruch kenne ich.«
Er zückte seine Brieftasche und zeigte ihr ein Foto von Cindy. Das Mädchen machte große Augen.
»Ist ja irre, ich sehe ihr tatsächlich ähnlich.« Sie grinste. »Kein Wunder, daß Sie ausgerastet sind. Und wer ist die Schwarzhaarige da? Ihre andere Tochter?«
Er runzelte die Stirn.
»Meine Freundin.«
Sie kicherte.
»‘tschuldigung.«
»Ich muß weiter.« Er ordnete sich die Kleidung und wandte sich zum Gehen.
»He, Bulle, oder wie Sie heißen.«
»Ja?«
»Lassen Sie mir das Bild von der Toten hier. Ich kriege garantiert schneller was raus als Sie.«
Er gab ihr Lindseys Foto und seine Karte.
»Decker«, las sie laut. »Hier steht, Sie sind beim Jugenddezernat.«
»Ich helfe zur Zeit bei der Mordkommission aus.«
»Okay, Decker«, sagte sie. »Ich werde mal sehen, was ich tun kann.«
»Wie heißen Sie?«
»Kiki. Aber ich melde mich schon selber, wenn ich was für Sie habe.«
»Schön«, sagte Decker. »Wiedersehen, Kiki.«
»He, kriegen Informanten bei Ihnen denn keine Kohle?«
»Nur, wenn sie Informationen liefern.«
»Wohin wollen Sie?«
»Meinen Arm behandeln lassen.« Er ging, aber sie folgte ihm. Jetzt habe ich ein Gänseküken am Hals, dachte er. Jetzt ist sie auf mich geprägt.
»Vielleicht weiß ich doch, wo eine Apotheke ist.«
Er sagte nichts.
»He, Sie müssen sich unbedingt ein Antibiotikum für den Arm besorgen.«
Er fuhr herum. »Wieso, hast du eine Infektion oder was?«
»Keine Bange. Ich habe kein Aids. Jedenfalls nicht, daß ich wüßte.«
»Ich meine ja nur, weil Bißwunden gefährlich sind«, fuhr sie fort. »Das weiß ich, weil mich meine Freier dauernd beißen, und wenn ich keine Antibiotika nehmen würde, wäre ich bestimmt schon längst tot.«
Er ging weiter.
»He, Decker, seien Sie doch nicht so.«
Er ging weiter.
»Ich höre mich nach der Kleinen um … Wie heißt sie überhaupt?«
»Lindsey Bates.«
»Okay, Lindsey Bates. Ich habe nämlich meine Quellen, müssen Sie wissen.«
Er hatte das Gebäude verlassen. Sogar die Hollywoodluft tat jetzt gut.
»He, Decker, haben Sie nicht ein paar Dollar übrig?«
Er bog um die Ecke und sprintete die verlassene Straße hinauf, weil es ihm peinlich war, daß er eine Nutte im Schlepptau hatte. Dann blieb er plötzlich stehen und nahm seine Brieftasche heraus.
»Komm her«, rief er, einen Fünfer in der Faust zusammenknüllend. Sie hielt ihm die Hand hin, und er drückte ihr den Schein hinein. »Und jetzt laß mich in Ruhe, sonst schleife ich deinen Arsch noch vors Jugendgericht.«
»Weswegen?«
»Prostitution.«
»So ein Quatsch. Ich habe doch bloß gesagt …«
»Kiki, ich bin ein Bulle. Du bist eine Nutte. Dir glaubt kein Mensch auch nur ein Wort. Wenn ich sage, du hast dich prostituiert, hast du sofort eine Anzeige am Hals. Dann landest du entweder im Jugendknast, im Heim oder wirst wieder zu deinem alten Herrn zurückverfrachtet, der dich vermutlich vergewaltigt hat, seit du zehn warst.«
Das Mädchen machte ein trauriges Gesicht.
»Sie müssen schon ewig beim Jugenddezernat sein.«
Er antwortete nicht. Solche Geschichten hatte er viel zu oft gehört.
»Das mit Ihrem Arm tut mir echt leid, Decker.«
»Und mir tut es leid wegen deinem Gesicht. Sei vorsichtig, ja?«
»Ich finde sie, Decker. Sie werden schon sehen. Ich habe meine Kontakte.«
Er stieg in den Plymouth, fuhr bis zur nächsten Telefonzelle und meldete der Hollywood Division das tote Mädchen, das er gefunden hatte.
8
Als Decker am nächsten Morgen aus unruhigem Schlaf erwachte, hatte er einen dicken Arm, und er machte sich Vorwürfe, weil er am vergangen Abend doch nicht mehr in die Notaufnahme gegangen war. Jetzt bekam er die Quittung dafür. In seinem Kopf brannte das Fieber, und durch den Radialnerv schossen ihm schubweise Schmerzen in den Arm. Er wälzte sich aus dem Bett und ging ins Badezimmer.
Der Arm war dunkelviolett angeschwollen und mit roten, verkrusteten Rissen bedeckt. Mit Alkohol aus dem Medizinschränkchen tupfte Decker die Bißwunde ab. Sie brannte bei jeder Berührung. Seine Haut lief feuerrot an und brach auf, Blut und Eiter quollen heraus. Er wusch den Arm gründlich und nahm ein Päckchen steriler Gaze, ein paar extra starke Aspirin und vier herumliegende Penizillintabletten aus dem Schrank. Er schluckte die Pillen und wechselte den Verband.
Nachdem er die Wunde behandelt hatte, gab er telefonisch auf dem Revier Bescheid, daß er später kommen würde. Danach rief er
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