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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Mrs. Bates an. Erin kam um vier nach Hause, aber ihr Vater wurde nicht vor sieben zurückerwartet – nach Beginn des Schabbat also. Decker sagte Mrs. Bates, daß er Erin heute noch sehen, das Gespräch mit ihrem Mann aber auf die nächste Woche verschieben wollte. Der dritte Anruf galt Chris Truscott. Da sich niemand meldete, hielt er es für das beste, nach Venice hinauszufahren und Lindsey Bates’ Freund einen persönlichen Besuch abzustatten.
    Als er sich vorsichtig ein Hemd anzog, zuckte er bei jeder Bewegung mit dem Arm vor Schmerzen zusammen. Sogar das Atmen tat weh. Verdammt, sagte er sich, was ist bloß los mit dir? Sicher, sie sah aus wie Cindy, und das hat dich stark gebeutelt. Aber du bist jetzt fast zwanzig Jahre Bulle. Wie konntest du dich nur so eiskalt erwischen lassen?
    Es wurde Zeit für die Schachris. Decker setzte sich die Kippe auf und holte sein T’fillin. Er küßte die beiden kleinen Gebetskapseln und band sich die eine auf den Kopf, den Sitz des menschlichen Verstandes, und die andere an den linken Bizeps, den Sitz der Stärke. Er wickelte sich die Lederriemen um den Arm, über die Hand und um den Mittelfinger. Decker sah sich seine Arme an. Der eine war schwarz umwickelt, als Symbol religiöser Andacht, der andere weiß verbunden, als Andenken an eine Hure.
    Er klappte den Siddur auf und begann mit dem Morgengebet, das er aus Gewohnheit auf englisch murmelte. Die ganze Zeit glitten seine Gedanken zwischen den heiligen Worten, die er sprach, und den höllischen Bildern des gestrigen Abends hin und her. Dreißig Minuten später schlug er den Siddur wieder zu, band die Phylakterien los und legte das enge Schulterholster an. Das Gewicht der Waffe riß schmerzhaft an seiner Wunde.
    Als das Telefon schrillte, platzte ihm fast das Trommelfell. Doch die Stimme am anderen Ende der Leitung war Balsam für seine Ohren.
    »Guten Morgen, Peter.«
    »Tag, Schatz«, antwortete er.
    »Na, wie war’s in Hollywood?«
    »Frag lieber nicht.«
    »Peter, du hörst dich krank an.«
    »Ich bin nur müde.«
    »Sonst fehlt dir nichts?«
    »Alles bestens.«
    »Sarah Libba hat mich vorhin angerufen. Sie wollte mich und die Jungen zum Schabbes-Essen einladen. Sie hat gesagt, du kommst auch.«
    »Ja.«
    »Es wird sicher schön, Peter.«
    »Ja.«
    »Hast du ihr etwas geschickt?«
    Verdammt, vergessen!
    »Noch nicht.«
    »Und Rebbezin Schulman?«
    »Auch nicht.«
    »Soll ich dir etwas für sie besorgen?«
    »Ich kann auch selber im Blumengeschäft anrufen, wenn es dir Umstände macht.«
    »Sei nicht albern. Das tue ich doch gern.«
    »Danke.«
    »Peter, geht es dir wirklich gut?«
    »Ja. Und ich freue mich schon auf den Schabbes.«
    »Ich auch.«
    »Ich liebe dich, Rina. Und noch einmal danke für die Uhr. So etwas Schönes hat mir noch nie ein Mensch geschenkt.«
    »Du hast sie dir mehr als verdient. Aber jetzt will ich dich nicht länger aufhalten.«
    »Bis heute abend also, in der Schule.«
    »Bis dann, Peter.«
    Sie legte auf. Plötzlich überkam ihn das dringende Verlangen, sie zurückzurufen, aber er kämpfte es nieder und ging zur Tür hinaus.
     
    Chris Truscott wohnte in Venice Beach. Zwei Häuserblocks weiter südlich lag das Oakwood Ghetto, zwei Häuserblocks in die entgegengesetzte Richtung das prosperierende Santa Monica. Das Haus, in dem Truscott sich eingemietet hatte, stand gewissermaßen im Niemandsland, als wartete es nur darauf, von der einen oder anderen Seite adoptiert zu werden, je nachdem, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelte.
    Ein hoher, wild wuchernder Eukalyptusbaum, der in Fingergras wurzelte, überschattete die drei miteinander verbundenen Bungalows. Dem frischen, weißen Putz nach zu urteilen, waren die Häuschen eben erst gestrichen worden, doch es prangten schon wieder Schmierereien von Jugendbanden an den Wänden.
    Bougainvilleatriebe schoben sich über die obszönen Sprüche und explodierten an der Dachrinne in knallrosa Blütenwolken. In der feuchten, kühlen Luft hing ein leichter Geruch nach Seeluft.
    Decker ging durch das unversperrte Gartentor und hielt nach Hunden Ausschau, dann überflog er die Namensschilder der Apartments. Truscotts Wohnung lag auf der Rückseite. Er klopfte an die Tür, aber niemand machte auf. Er lugte durch ein Fenster hinein. Da die Gardine nur halb zugezogen war, konnte er ziemlich viel erkennen.
    Das Apartment war zwar möbliert, aber Wände und Tische waren kahl und nackt. Decker überlegte gerade, wie stabil wohl die Schlösser sein mochten,

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