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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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später kehrte sie mit einem Messer, einer Schüssel heißem Wasser und Handtüchern zurück. »Komm mit zum Tisch, Peter. Ich mach das schon.«
    »Gib mir einfach das Messer. Dann kannst du gehen.«
    »Du kannst die Eiterbeule nicht aufschneiden. Sie ist noch nicht reif.«
    Er sah sie an.
    »Seit wann kennst du dich denn mit dem Aufschneiden von Eiterbeulen aus?«
    »Komm mit zum Tisch«, wiederholte sie bestimmt.
    Er folgte ihr und ließ sich, dankbar für ihre Hilfe, in den Sessel fallen.
    »Streck mal den Arm aus.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich mache dir heiße Wickel, damit die Beule reif wird.« Sie tauchte ein Handtuch in das heiße Wasser und wrang es aus. »Es wird weh tun.«
    »Schlimmer kann es gar nicht mehr werden.«
    Aber es war schlimmer. Sein Fleisch brannte.
    »Wie ist das passiert?« fragte sie, während sie seinen Arm stramm einwickelte.
    »Ich habe in der Scheune rumgebastelt und mich dabei an einem alten, splitterigen Brett gerissen.«
    »Sieht mir eher nach einem Biß aus«, sagte sie.
    Er zögerte.
    »Okay, dann bin ich eben von einem Hund gebissen worden.«
    »Sagst du mir jetzt, wie das passiert ist, Peter?«
    »Ich bin im Dienst von einer Nutte angefallen worden. Zufrieden?«
    Ihre Blicke trafen sich, aber Rina sagte nichts. Sie wickelte den Arm aus, tastete die Schwellung ab und legte mit einem frischen heißen Handtuch den nächsten Wickel an.
    »Wo hast du das gelernt?« fragte er.
    Rina bemerkte, daß sein Gesicht schweißnaß war, und sie tupfte es mit einem trockenen Handtuch ab. »Yitzchak und ich sind nach Israel ausgewandert, als wir ein Jahr verheiratet waren. Nach Kiryat Arba, das ist eine Siedlung in Hebron.« Sie streichelte ihm die Hand. »Wir waren auf feindlichem Gebiet, und in der Nähe gab es keine jüdischen Ärzte. Da lernt man so einiges.«
    »Du hast mir nie erzählt, daß du in Israel gelebt hast.«
    »Drei Jahre lang. Das ist eine Phase, die ich gern vergessen möchte. Bis auf das Jahr, in dem Yitzchak gestorben ist, war es wohl die schlimmste Zeit in meinem Leben. Ich saß mit meinen beiden kleinen Jungen hinter Stacheldraht und war für den Kindergarten der Gruppe verantwortlich, in dem ich – baruch Haschem – vierundvierzig Kinder betreuen mußte.« Sie machte eine kurze Pause. »Alle Männer waren bewaffnet. Es herrschte offener Krieg.«
    »Yitzchak auch?«
    »Ja.« Sie nahm ihm das Handtuch ab, wrang ein frisches aus und umwickelte die Wunde zum dritten Mal.
    »Aber du nicht?«
    »Die Frauen haben die Siedlung nie verlassen. Wir wurden vierundzwanzig Stunden am Tag bewacht. Wozu hätte ich da schießen lernen sollen? Obwohl ich mir manchmal denke, es wäre besser gewesen.«
    »Warum seid ihr da hingezogen?« fragte er.
    »Aus Idealismus.« Sie schüttelte den Kopf. »Als Yitzchak dann gesagt hat, daß wir in die Staaten zurückgehen, habe ich vor Freude geweint und anschließend sofort ein schlechtes Gewissen bekommen. Ich sollte das Heilige Land verlassen und konnte mich kaum lassen vor Freude.«
    Sie lachte leise.
    »Dann habe ich im Talmud gelesen, daß ein Jude, der sich eine erlaubte Freude entgehen läßt, ein Narr ist. Damals war ich furchtbar närrisch.«
    »Warum hast du ihm nicht gesagt, daß du weg wolltest?«
    »Ich habe mich wohl nicht sehr deutlich ausgedrückt«, antwortete sie, während sie das Handtuch abnahm. »Er wäre schon viel früher wieder abgereist. Ich war diejenige, die darauf bestanden hat, länger zu bleiben. Die ewige Märtyrerin, Peter. Ich wollte, daß wir religiöse Chaluzniks wurden – Pioniere. Aber schließlich hat Yitzchak sich durchgesetzt. Er meinte, wir könnten in so einer Atmosphäre nicht leben. Dann hat Rav Schulman ihn in den Kolel eingeladen. Er hat das Angebot sofort angenommen, ohne es mit mir zu besprechen. Ich konnte ihm nicht einmal böse sein. Der arme Kerl war sehr unglücklich, und ich habe seine Bedürfnisse vernachlässigt, weil ich an ein höheres Ziel glaubte.
    Aber zum Schluß wurde doch noch alles gut. Yitzchak hatte eigentlich in Jerusalem leben und studieren wollen – eine schönere und inspirierendere Stadt gibt es nicht. Hätten wir uns dort angesiedelt, hätten wir Israel nie mehr verlassen. Und dann hätte ich dich nicht kennengelernt.«
    Rina berührte seine spannende, brennende Haut. Sie sagte, er solle stillhalten.
    Decker war schweißgebadet. Er kniff die Augen zusammen, biß sich auf die Lippe und schmeckte das Blut. Er spürte, wie die Messerklinge durch die Beule schnitt. Ein stechender

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