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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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alltäglicher Kram – kurze Einträge, ein Satz. Sie hat auch nicht jeden Tag etwas geschrieben. Hier – ein ganzes Wochenende zusammengefaßt in dem einen Satz: ›Ich habe mir eine neue Bluse gekauft, in Pink.‹ Zwei Tage später schreibt sie: ›Ich habe neue Sandalen.‹ Über das nächste Wochenende heißt es: ›Ich muß unbedingt an den Strand. Meine ganze Bräune ist weg. Ich sehe schon aus wie ein Geist.‹«
    Marge las schweigend weiter. Der Polizeifunk spuckte Durchsagen aus, die sie nichts angingen. Decker steckte sich eine Zigarette an, um die Monotonie der Fahrt zu unterbrechen.
    »Hör dir das an«, sagte Marge. »Vor etwa sechs Monaten geschrieben. ›Erin kam nach Hause, sah mal wieder wie eine Pennerin aus.‹«
    »Aha.«
    »›Ehrlich, sie ist ein hoffnungsloser Fall! Und sie könnte so viel aus sich machen, wenn sie sich nur ein bißchen Mühe geben würde. Ach, du meine Güte, ich hör mich schon an wie Mom! Schrecklich‹«
    Decker lachte. »Die Weisheit einer Fünfzehnjährigen.«
    »Na und? Die meisten Leute werden in ihrem ganzen Leben nicht so klug.«
    »Das ist wahr. Hat sie was darüber geschrieben, daß sie Chris nackt Modell gestanden hat?«
    »Ja. Warte mal eben … Ah, da haben wir’s. ›Chris hat noch mehr Aktaufnahmen von mir gemacht. Wie immer haben wir uns hinterher geliebt, diesmal wie die Hunde. Mein Gott, was ist er gut bestückt. Ich habe es am liebsten, wenn ich oben bin.‹« Marge schmunzelte. »Ein abenteuerlustiges kleines Ding, was?«
    »Gegen den Drang der Hormone ist kein Kraut gewachsen.«
    Sie sah ihn an. »Ist es schwer, der Vater einer halbwüchsigen Tochter zu sein?«
    »Es hat auch seine guten Seiten.« Die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, behagte ihm ganz und gar nicht. »Hast du irgendwie den Eindruck, daß Chris sie gezwungen hat, nackt zu posieren?«
    »Kommt mir nicht so vor.«
    Decker sah auf die Uhr und trat das Gaspedal durch. Selbst mit Höchstgeschwindigkeit würde er es nicht mehr bis zum Beginn des Schabbat schaffen. Er fragte sich, ob Rabbi Schulman wohl eine Bemerkung darüber machen würde.
    »Sie war ein sensibles Pflänzchen, Pete«, sagte Marge. »Sie war oft beleidigt.«
    »Inwiefern?«
    Sie blätterte ein paar Seiten zurück. »Heather ist ihr neues Kleid nicht aufgefallen … Chris hat sie nicht angerufen, obwohl er es versprochen hatte … Erin hat sie mal wieder angegiftet. Das glaube ich gern. Hier, noch ein Beispiel – Brian hat sie vor dem Englischlehrer blamiert.«
    »Brian ist ein Idiot.«
    »Ja, das war ihr auch klar. Warte mal eben, da war doch noch was …« Sie blätterte weiter. »Hier ist es. Sie schreibt: ›Brian hat sich betrunken und mußte sich mal wieder im Wagen seines Vaters übergeben. Ich weiß, daß er ein Versager ist, aber er tut mir trotzdem leid. Sein Dad ist ein absolutes Ekel, er versucht immer, die Mädchen anzubaggern, die Brian mit nach Hause bringt. Kein Wunder, daß er sich ständig volldröhnt.‹«
    »Irgendwelche Andeutungen, daß Brians Dad sie auch angemacht hat?«
    »Nicht direkt.«
    Marge las weiter.
    »Hier wird sie ein bißchen gehässig. Sie konnte es wirklich nicht vertragen, wenn ein anderes Mädchen besser aussah als sie. Sie war eitel.«
    »Habe noch keinen Teenager kennengelernt, der nicht auf die eine oder andere Weise viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war«, sagte Decker.
    Zehn Minuten später überfuhr Decker am Ende der Freewayausfahrt eine gelbe Ampel und raste Richtung Revier.
    »Hast du es eilig?« fragte Marge.
    »Ein bißchen.«
    Sie klappte das Tagebuch zu und gab es ihm.
    »Lies es dir durch und laß mich wissen, was du davon hältst«, sagte sie. »Ich habe nichts Ungewöhnliches entdeckt. Sie klingt nicht nach einem unglücklichen Mädchen, das von zu Hause weglaufen will. Und es deutet auch nichts daraufhin, daß Truscott irgendwie nicht ganz richtig im Kopf wäre. Sie war vernarrt in ihn – wollte ihm bis ans Ende des Universums folgen.«
    Decker spürte, wie die Wut in ihm hochstieg. Vielleicht, weil es so spät war und ihm der Magen knurrte, vielleicht, weil sein Arm allmählich aus dem Betäubungsschlaf erwachte. Was auch immer der Grund war, der Fall machte ihn plötzlich wütend. Ein vergeudetes junges Leben.
    Mit zusammengebissenen Zähnen sagte er: »Verdammt schade, daß sie nicht bis an ihr Ziel gekommen ist.«

9
    Auf Deckers Teller lagen dünne, rosige Roastbeefscheiben mit Meerrettichsoße, drei dampfend heiße Kartoffelpuffer mit einem

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