Das Hohelied des Todes
»In dem Kabuff hier kriegt man sowieso keine Luft, auch ohne daß du sie verpestest.«
Hollander löschte die Glut.
»Was ist dir denn über die Leber gelaufen, Rabbi? Hattest wohl ein miserables Wochenende im Heiligen Land, was?«
»Im Gegenteil, es war viel zu schön«, sagte Decker. »Nach so einem Wochenende ist es eine ganz schöne Umstellung, hier wieder in der Scheiße wühlen zu müssen.«
»Pete, draußen stehen Dutzende von Kollegen Schlange, um dich abzulösen.«
»Ich würde den geilen Böcken den Job ja auch gerne abtreten, aber es ist nun einmal mein Fall, Michael.«
»Ich meinte ja bloß, wenn dir die Sache an die Nieren geht, kannst du jederzeit auf Verstärkung rechnen.«
Decker nahm sich das nächste Bild vor. Ein blondes Mädchen besorgte es einem Fettwanst mit einer Warze auf dem Penis auf französisch. Decker sah sich ihr Gesicht an, dann legte er das Foto weg.
»Wahnsinn, Pete, sieh dir doch bloß mal an, wie groß …«
»Kein Interesse.«
Kurz darauf kam Marge herein.
»Wißt ihr was? MacPherson hat mir angeboten, am Osterwochenende für mich Dienst zu schieben, wenn ich ihm diesen Job überlasse.« Sie machte ein ungläubiges Gesicht. »Die Jungs sind der geilste Haufen, den ich je gesehen habe.«
»Du verstehst das männliche Geschlecht eben nicht, Marjorie«, sagte Hollander.
»Du kannst mich ja mal aufklären, Michael.«
Er grinste lüstern. »Gib mir einen Termin.«
»Weißt du was?« antwortete sie. »Wir weihen zusammen das einundzwanzigste Jahrhundert ein.«
Hollander tat so, als müßte er sich konzentrieren, und schwieg.
»Noch dreizehn Jahre, Mike«, sagte Decker.
Marge lachte. »Hast du mal ein Foto von Lindsey, zur Gedächtnisauffrischung?« fragte sie Decker.
Er gab ihr das Bild, mit dem sie arbeiteten. Es war Lindseys Abschlußfoto von der Junior High-School, die Porträtaufnahme einer Jugendlichen mit gleichmäßigen Zügen, die zur Frau heranreifte. Sie lächelte kokett und hatte leuchtende Augen. Das Bild hatte nichts Steifes, Gestelltes an sich. Lindsey besaß Ausstrahlung. Marge machte ein trauriges Gesicht.
»Hübsches, kleines Ding, was?« meinte Hollander. »Was für ein Jammer.«
»Sie war in Cindys Alter«, sagte Decker. »Ich habe gestern den ganzen Tag nach ihr herumgefragt. Jedes Heim, jedes Obdachlosenasyl, jede sozial betreute Wohngemeinschaft und jedes Drogenrehabilitierungscenter in der L. A.-San Fernando Gegend habe ich abgeklappert, aber keiner hat sie gesehen. Ich habe das Foto sogar auf der Straße herumgezeigt. Fehlanzeige. Die Bilder hier sind jetzt unsere letzte Hoffnung, und wahrscheinlich kommt wieder nichts dabei heraus. Sie war ein nettes, braves Mädchen, das sagen alle, mit denen ich gesprochen habe. Ich glaube nicht, daß wir sie auf diesen Archivbildern finden.«
»He, Marge«, sagte Hollander. »Guck dir doch bloß mal den …«
»Kein Interesse, Michael.«
Hollander knurrte und nagte an seiner kalten Pfeife.
Marge fing an, einen Stapel Pornofotos durchzusehen.
»Wie viele Kisten von dem Dreck haben wir eigentlich?« fragte sie.
»Mehr als genug«, sagte Decker und legte den nächsten Schwung Fotos zur Seite.
»Hast du Mr. Bates noch zu fassen gekriegt?« fragte Marge.
Decker verzog das Gesicht und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Schlimm, hm?« sagte Hollander.
»Einer von der verklemmten Sorte«, sagte Decker. »Nach der Hälfte der Fragen hat er schlappgemacht. Es war furchtbar. Die Schleusentore öffneten sich, und von da an ging es nur noch bergab. Ich kann den Mann wirklich verstehen. Ich würde mich wahrscheinlich auch nicht besser halten.«
Sie sortierten weiter die Bilder aus – verkrampfte Stellungen, die eher für die Kamera gedacht waren als für das eigene Vergnügen.
»Pete, was meinst du zu der hier?« Marge zeigte ihm ein masturbierendes Mädchen.
Nachdem Decker sich das Foto genau angesehen hatte, schüttelte er den Kopf.
»Die Augen sind falsch.«
Marge machte sich achselzuckend über den nächsten Stapel her.
»Wie geht es weiter, wenn wir sie finden?« fragte Hollander.
»Die Bilder sind auf der Rückseite numeriert, Mike«, antwortete Decker. »Wenn wir sie finden, können wir nachsehen, woher das Foto stammt, und kriegen dadurch hoffentlich einen Hinweis auf den Fotografen.«
»Wie war dein Samstag in der Jeschiwa, Pete?« fragte Marge.
»Super.«
»Dein Arm sieht nicht mehr so steif aus«, sagte sie.
»Der Doc meint, es wird schon wieder.«
»He, Rabbi«, sagte Hollander.
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