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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Mrs. Grover war über siebzig, und sie hatte dünnes, blau getöntes Haar.
    »Sergeant Decker?« fragte sie unsicher.
    Decker wies sich aus.
    »Treten Sie doch bitte ein.«
    Ihr künstliches Gebiß zischelte beim Sprechen.
    »Danke«, sagte Decker. »Aber es geht auch so. Welches Apartment hat Mr. Truscott?«
    »Nummer dreizehn. Das zweite links. Er ist immer noch da. Möchten Sie nicht vielleicht vorher auf ein Täßchen Kaffee hereinkommen?«
    »Würde ich liebend gern, Mrs. Grover, aber ich bin ein wenig in Eile.«
    Die alte Frau nahm seine Entschuldigung an, als hätte sie diese Ausrede schon tausendmal gehört.
    »Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, hätte ich gern ein Glas Wasser«, sagte Decker.
    Ihre Stimme hob sich wieder. »Gern.«
    »Ich warte hier«, sagte Decker. »Ich will das Apartment im Auge behalten.«
    »Ich verstehe«, sagte sie.
    Sie brachte ihm ein beschlagenes Glas Eiswasser. Decker bedankte sich.
    »Mrs. Grover, wieviel bezahlt Mr. Truscott für die Wohnung?«
    »Sechshundertfünfzig im Monat. Ohne die Mietpreisbindung könnten wir viel mehr dafür verlangen.«
    »Wieviel hat er als Kaution hinterlegt?«
    »Dann steckt der Junge also doch in Schwierigkeiten?«
    »Nein.«
    Noch nicht.
    »Hat er Ihnen die Miete für den ersten und letzten Monat im voraus bezahlt?«
    »Ja. Und eine Kaution in Höhe einer Monatsmiete.«
    Fast zwei Riesen. Kein Wunder, daß der gute Chris seine Rechnungen nicht bezahlen konnte. Decker trank aus, bedankte sich noch einmal und ging.
    Truscott machte ihm resigniert die Tür auf.
    »Irgendwann mußten Sie ja kommen. Es war bloß eine Frage der Zeit.«
    Er war ein gutaussehender Junge mit dunklem Teint, dichten, lockigen Haaren und großen, grauen Augen. Sein Gesicht war schmal, fast hager, und unverkennbar traurig. Seine Mundwinkel hingen herunter, wie zu einer Tragödienmaske erstarrt. Er war überdurchschnittlich groß und gut gebaut, und Decker dachte, daß Lindsey und er ein auffallend attraktives Paar abgegeben haben mußten.
    Die Wohnung glich einem Schrein – die Vorhänge waren zugezogen, die Wände mit schwarzem Stoff verhängt. Über der Matratze auf dem Fußboden lag ein schwarzes Laken. Auf drei ebenholzschwarzen Plastiktischen brannten mindestens ein Dutzend Kerzen. Andere Möbel gab es nicht.
    Truscott zeigte auf den Boden und setzte sich. Decker hockte sich ebenfalls hin.
    »Woher haben Sie das Geld, daß Sie sich so eine Wohnung leisten können, Truscott?«
    Auf diese Frage war der Junge nicht gefaßt gewesen.
    »Ich … ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Die Fotografiererei muß anscheinend ganz schön was abwerfen.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Ich habe Sie unter die Lupe genommen, Chris. Sie zahlen Ihre Rechnungen nicht, sie ziehen aus einem Loch in Venice aus, nachdem Sie Ihrer Vermieterin einen ungedeckten Scheck gegeben haben. Dann finde ich Sie, und Sie spielen den Yuppie in Santa Monica. Was hat das zu bedeuten?«
    Der Junge ließ den Kopf hängen.
    »Das hat nichts zu bedeuten. Ich bin pleite, blank, abgebrannt. Ich lebe von geborgter Zeit. Ich habe noch genau fünfzehn Dollar, und einen Auftrag habe ich auch nicht mehr gehabt, seit …«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte mir zum Schluß noch etwas Gutes tun. Den Schmerz vergessen. Dann wollte ich der Welt noch einmal den Stinkefinger zeigen und stilvoll abtreten. Es ging nicht. Aber das ist jetzt auch schon egal. Sie sind wegen ihr hier, ja?«
    »Wo waren Sie an dem Tag, als Lindsey verschwunden ist, zwischen elf und zwölf Uhr dreißig?«
    »Ich habe gearbeitet.«
    »Gibt es dafür Zeugen?«
    »Höchstens zweihundert Leute.« Er sah Decker an. »Wenn Sie ein Geständnis wollen, bitte. Ich bin sowieso schon tot.«
    »Ich will die Wahrheit, Chris. Keine leichte Lösung.«
    »Die Wahrheit ist, daß ich sie nicht getötet habe. Aber ich bin trotzdem für ihren Tod verantwortlich. Wenn ich unsere Verabredung eingehalten hätte, wäre das alles nie passiert.«
    Seine Lippe fing an zu zittern.
    »Erzählen Sie mir von dem Auftrag, Chris«, sagte Decker.
    »Ich habe auf einer Hochzeit fotografiert. Ich mußte im letzten Moment für einen Kollegen einspringen. Aber dafür war die Bezahlung dann auch so gut, daß ich mir den Job nicht entgehen lassen konnte. Wenn ich geahnt hätte …«
    Der Junge litt.
    »Von wem wurden Sie engagiert?«
    »Die Frau hieß Bernell. Margaret Bernell. Ihre Tochter war die Braut. Ich war um ungefähr halb zehn, zehn an der Kirche und bin bis nachmittags

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