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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Leben schon oft beleidigt worden, Rina, aber einen Kosaken hat man mich noch nie geschimpft.«
    »Es ist nicht lustig.«
    »Seien wir nachsichtig mit ihr. Deine Mutter hatte heute einen schlechten Tag.«
    »Sie hat furchtbare Dinge zu dir gesagt.«
    Decker zuckte mit den Schultern. »Ich bin eben der große, böse Wolf, der ihr die Tochter raubt. Wir werden uns schon noch zusammenraufen.«
    »Dabei bist du gar kein Goi, sondern ein Ger – ein Neubekehrter. Oder zumindest wirst du bald einer sein.«
    »Aber sie sieht mich als Goi.«
    »Ich würde nie einen Goi heiraten!«
    »Nein«, sagte Decker. »Du wirst einen Juden heiraten. Du wirst mit einem Juden schlafen. Du wirst mit einem Juden Kinder haben. Aber eins wollen wir klarstellen. Verliebt hast du dich in einen Nichtjuden.«
    Sie sagte nichts, sondern starrte mit blinden Augen aus dem Wohnzimmerfenster. Er verwünschte sich dafür, daß er ihre Schuldgefühle noch verschlimmert hatte.
    »Rina, ich weiß nicht mehr, was ich rede. Ich bin furchtbar müde. Denk nicht mehr daran.«
    Ohne sich zu bewegen, ohne ihn anzusehen, sagte sie: »Jeden Morgen nach dem Aufwachen hole ich meinen Siddur heraus und dawenen schmone-esre. Und hinterher bete ich jeden Morgen zu Haschem um Verständnis und Vergebung meiner Sünden … aber manchmal bete ich auch um die Kraft, das zu tun, was ich schon längst hätte tun sollen – dich wegzuschicken, bis du ein Jude geworden bist.«
    Sie drehte sich zu ihm um.
    »Aber anscheinend bringe ich beim Beten nicht die richtige Kawana, die richtige Andacht auf, denn ich habe nie den Mut, dir Lebwohl zu sagen.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Haßt du mich, weil ich so empfinde?«
    »Nein.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Wir haben beide unsere Bedenken.«
    »Möchtest du nicht übertreten?« fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Aber es ist nicht einfach, vierzig Jahre Erziehung über Bord zu werfen, vor allem, wenn deine Eltern dich ihr Mißfallen sehr deutlich spüren lassen.«
    Er lächelte traurig. »Wir kriegen beide unser Fett ab.«
    »Du hast deinen Eltern gesagt, daß du Jude werden willst?«
    »Natürlich, es ist kein Geheimnis. Ich habe ihnen einen Brief geschickt.« Er verzog das Gesicht. »Ich habe meiner Mutter geschrieben, daß ich mich in eine orthodoxe Jüdin verliebt habe und zu ihrem Glauben übertreten will. Weißt du, was sie mir geantwortet hat?«
    »Was?«
    »Sie hat geschrieben: ›Peter, du hast dir schon einmal die Finger verbrannt. Dieses Mal wirst du richtig brennen.‹ Sie war nicht gerade begeistert davon, daß Jan Jüdin war, und dabei war Jan überhaupt nicht besonders jüdisch. Aber wenigstens bin ich damals nicht übergetreten. Das war jetzt einfach zu viel für sie.«
    Er zuckte mit den Schultern, und Rina nahm seine Hand.
    »Wie konnte sie nur? Das ist ja furchtbar«, sagte sie empört.
    »Ach, ich kann es ihr nicht einmal verdenken. Wie bringt man seinen Eltern bei, daß man ihre Wertvorstellungen ablehnt, obwohl man im Grunde gar nichts dagegen hat? Ich habe ihnen weh getan, Rina. Ich habe ihnen ins Gesicht gespuckt.«
    »Nein, das hast du nicht.«
    Decker schwieg. Sie schlang die Arme um ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und drückte ihn.
    »Ich liebe dich, Schatz«, sagte er leise.
    »Ich liebe dich auch«, antwortete sie. »Ich war so mit meinen eigenen Schuldgefühlen beschäftigt, daß ich gar nicht an die andere Seite der Medaille gedacht habe.«
    Er lächelte und küßte sie auf die Stirn.
    »Hast du seit dem Brief mit deinen Eltern geredet?« fragte sie.
    »Ja. Ich habe sie vor einer Woche angerufen. Sie waren sehr höflich. Sie meinten, wenn wir mal bei ihnen in der Gegend wären, könnten wir ruhig bei ihnen reinschauen – als ob ich ein flüchtiger Bekannter wäre.«
    Er umarmte sie fester.
    »Rina, es spricht nun einmal sehr viel gegen uns, die schlimmen Umstände, unter denen wir uns kennengelernt haben, der Altersunterschied, die unterschiedliche Herkunft. Natürlich könnten wir jetzt sagen: ›Was schert uns das, wir sind wir, und die Liebe ist das einzige, was zählt.‹ Aber du weißt genauso gut wie ich, daß wir das Marschgepäck, das unsere Eltern uns auf den Lebensweg mitgegeben haben, niemals loswerden können. Also müssen wir versuchen, ihnen – und auch uns – gegenüber tolerant zu sein.«
    Sie nickte.
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Küß mich.«
    Sie gab ihm ein Küßchen auf die Wange.
    »Nein. Küß mich

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