Das Hohelied des Todes
Zigarette an. Er rauchte zu viel, und gleich würde er auch noch zu viel trinken, aber es war ihm scheißegal. »Na, was macht die Kunst, Pat?«
»Hat sich nicht viel verändert, seit du das letzte Mal hier warst.«
Decker blickte sich um. Die Wände waren in der Zwischenzeit dunkelrot gestrichen worden, und das Linoleum war neu. Dieselben rustikalen Tische und Stühle aus Eichenholz, nur ein bißchen zerschrammter. Dieselben Plastikkabel an der Decke. Auf dem Pooltisch zur Abwechslung eine neue, rote Bespannung. In der Musikbox Country-Gedudel wie eh und je – Bocefus jaulte etwas über neue Liebe, neues Glück vor sich hin. Es hatte sich wirklich kaum etwas verändert.
Decker nippte zuerst nur an seinem Scotch, doch dann genehmigte er sich einen anständigen Schluck. Er sah zum Fernseher hoch – eine Fußballübertragung aus Mexiko. Für Fußball hatte er sich früher nie sonderlich begeistern können, aber seit er Rinas Jungen ein paarmal beim Kicken zugesehen hatte, war er doch ein wenig auf den Geschmack gekommen. Er lehnte sich an die Theke und hörte zu, wie der Kommentator eine Zusammenfassung der ersten Halbzeit herunterratterte. Decker verstand jedes Wort, er hatte nichts verlernt. Als Streifenpolizist in Miami hatte er Spanisch gelernt, um sich von den Kubanern nicht aufs Kreuz legen zu lassen. Mann, diese Kameraden logen wirklich das Blaue vom Himmel herunter!
Sein Glas war leer, und er bestellte sich noch einen Scotch.
Nach seinem Kurzgastspiel als Anwalt hatte Decker bei der Polizei von L. A. angefangen. Zunächst war er in East L. A. eingesetzt worden, was sich als Fehler erwiesen hatte. Die Latinos trauten keinem Weißen, der ihre Sprache verstand. Er war und blieb für sie ein Spitzel. Sosehr er sich auch bemühte, er kam nicht an sie ran. Sie konnten ihn alle mal!
Er kippte den Whisky und stellte das leere Glas ab.
Ed Fordebrand kam herein. Er trug ein rot-grün kariertes Sporthemd, braune Hosen, blank geputzte Schuhe und eine gelbbraune Lederjacke.
»Wie kommst denn du hierher, Deck?«
»Dreimal darfst du raten.«
»Du und Rina, ihr habt euch …«
»Nein.« Decker orderte den dritten Scotch.
»Die Toten aus den Bergen haben sich zu einer richtig üblen Geschichte ausgewachsen, was, Rabbi?«
»Ich bin kein Rabbi, verdammt noch mal«, raunzte Decker ihn an.
Nach dem nächsten Schluck Whisky wurde ihm endlich etwas wärmer. Er klatschte Fordebrand auf den Rücken. »Ich spendier’ dir einen, Ed.«
»Dazu sag ich nicht nein.«
»Wie geht’s Annette?«
»Wird langsam alt und nörgelig. Macht mir Tag und Nacht die Hölle heiß.« Fordebrand bestellte sich einen Bourbon mit Seven. »Aber wir sind aneinander gewöhnt. Ich will nicht behaupten, daß ich nicht manchmal an Scheidung gedacht hätte, und ihr ist es bestimmt auch nicht anders ergangen. Aber irgendwie ist uns anscheinend immer was dazwischengekommen. Jetzt ist ja bald auch noch Linda aus dem Haus. Die letzte. Mal abwarten, wie es dann weitergeht.«
Pat wischte die Theke ab und stellte Fordebrand den Bourbon hin.
»Trink aus«, sagte Decker. »Ich spendier’ dir noch einen.«
»Ein Whisky am Tag ist mein Limit. Ich krieg’ Ärger, wenn ich mich nicht daran halte.« Fordebrand musterte Decker. »Du warst doch auch nie ein großer Trinker, Pete.«
Decker schüttelte den Kopf und bestellte sich noch einen. »Normalerweise arbeite ich lieber. Aber heute will ich nicht arbeiten. Und was erwartet mich schon groß zu Hause? Berge von Pferdeäpfeln, sonst nichts.«
»Und Rina?«
»Rina?« Decker machte ein säuerliches Gesicht. »Wozu gibt man sich überhaupt mit Frauen ab? Das einzige, was sie können, ist, sich Sorgen machen und beten, und kaum erzählst du ihnen was, womit sie nicht fertig werden, dann hast du noch ein hysterisches Weib am Hals.«
Fordebrand schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ich habe Rina ja nur ein paarmal gesehen, aber wie eine von der hysterischen Sorte kam sie mir nicht vor.«
»Früher oder später werden die Weiber alle hysterisch, Ed. Es ist bloß eine Frage der Zeit. Jan war anfangs auch nicht so empfindlich, aber dann …« Er lachte. »Eine Mimose war nichts dagegen. Aus allem wurde eine Staatsaktion gemacht.«
Decker trank aus und bestellte sich ein Dos Equis zum Nachspülen. Fordebrand sah zu, wie er es hinunterkippte.
»Ich bring’ dich nach Hause«, sagte er.
»Ich bin doch nicht betrunken«, protestierte Decker. »Jedenfalls noch lange nicht betrunken genug. Leistest du mir
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