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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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jetzt Gesellschaft, oder willst du mir nur Händchen halten?«
    »Weder noch. Ich muß los.«
    Decker nickte. »Grüß Annette von mir.«
    Fordebrand ging. Es dauerte nicht lange, und die ersten Mädchen kamen herein. Bei seinem vierten, fünften und sechsten doppelten Scotch sah Decker ihnen zu, wie sie sich an die Streifenpolizisten heranmachten. Es gefiel ihm, wie ihre Brüste aus den freizügig geschnittenen Oberteilen lugten und wie sich die Brustwarzen am Stoff rieben. Auch die Miniröcke über den langen, wohlgeformten Beinen und die knackigen Hinterteile in den strammen Jeans waren nicht zu verachten. Die Haare trugen sie offen, und sie wirkten frei und kess. Alle waren in voller Kriegsbemalung angetreten und rochen aufdringlich nach Parfüm.
    Halb benebelt durch den Whisky, merkte er, daß eines der Mädchen auf ihn zukam. Sie war hoch aufgeschossen und hatte dichte, platinblonde Locken. An ihren Ohrläppchen hingen große, goldene Ringe, und ihre Augen waren lila geschminkt. Sie trug ein graues T-Shirt, das an strategisch günstigen Stellen Risse hatte und ihr halb von der Schulter rutschte; sie steckte in knallengen Jeans, die nichts verbargen. Lächelnd setzte sie sich neben ihn.
    »Spendierst du mir einen?«
    Er winkte Pat heran.
    »Was soll’s denn sein?« fragte Decker.
    »Gin und Tonic.«
    Pat nickte.
    »Bring mir noch einen Scotch mit, ja?«
    »Ich hab dich hier noch nie gesehen«, begann sie.
    Decker zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen.«
    »Bist du ein Bulle?«
    Er lachte.
    »So kann man das wohl auch ausdrücken.«
    »Laß mich raten.« Die junge Frau legte den Kopf auf die Seite. »Du siehst aus wie ein Detective.«
    Decker schmunzelte.
    Sie biß sich leicht auf die Unterlippe. »Und ich würde tippen, du bist beim Raub- oder vielleicht auch beim Einbruchsdezernat.«
    »Jugendkriminalität und Sexualverbrechen«, korrigierte er.
    Das Mädchen rümpfte die Nase. »Sexualverbrechen! Bei der Sitte soll es am schlimmsten sein. Dauernd diese widerlichen Vergewaltiger.«
    »Vergewaltiger sind immer widerlich … Wie heißt du?«
    »Nadine. Und du?«
    »Pete.«
    »Schön, dich kennenzulernen, Pete.« Sie streckte ihm die Hand hin, und er schlug ein. Sie fühlte sich warm und weich an. Sie zog ihm die Hand weg und nippte an ihrem Tonicwasser.
    »Und was führt dich hierher, Pete?«
    »Die Atmosphäre.«
    »Bist du verheiratet?«
    Er zögerte kurz.
    »Nein.«
    Nadine lachte.
    »Oh, doch. Das sehe ich auf den ersten Blick.«
    Er schmunzelte.
    »Na, schön, ich geb’s zu.«
    »Macht nichts«, sagte sie. »Ich wollte mir sowieso nur einen netten Abend machen.«
    Er ließ den Blick über ihren Körper gleiten. Er brauchte bloß ein Wort zu sagen, und er hatte Gesellschaft für die Nacht. Eine warme Frau fürs Bett. Ihm wurde heiß. Schließlich schuldete er Rina nichts. Er schuldete keinem Menschen etwas. Mann, er glühte richtig. Ihm war, als sähe er Rauch aufsteigen. Er stand regelrecht in Flammen!
    »Scheiße!« Das Mädchen sprang auf. »Deine Jacke brennt.«
    Decker klopfte sich auf die rechte Jackentasche. Der Stoff hatte sich an der Glut einer Zigarette entzündet.
    »Verdammte Scheiße!« schrie er, während er die Flammen mit der bloßen Hand ausschlug. Er hatte ein Brandloch in der Tasche, und sein Taschensiddur war ebenfalls angekohlt.
    Decker steckte das ruinierte Gebetbuch in die andere Tasche. Das Mädchen kicherte.
    »Alles in Ordnung?« fragte sie und hielt sich die Hand vor den Mund.
    »Alles bestens.«
    »Komm«, flötete sie. »Wir hauen lieber ab, bevor du noch die ganze Kneipe in Schutt und Asche legst.«
    »Ich fahre nach Hause«, sagte er angewidert. »Ein andermal vielleicht, okay?«
    Das Mädchen hörte auf zu lachen.
    »Ach, komm doch mit«, sagte sie und zog ihn am Ärmel. Er riß sich so heftig los, daß sie ängstlich einen Schritt zurückwich. Ohne noch ein Wort zu verlieren, knallte Decker ein paar Scheine auf die Theke, drehte sich um und ging.
    Auf der Heimfahrt wurden die Bilder immer deutlicher. Der Brandgeruch, der von seiner Jacke ausging, hing so schwer im Wagen, daß er fast keine Luft mehr bekam. Er kurbelte die Fenster herunter und drehte das Gesicht in die kalte Luft, aber noch immer schwitzte er stark. Die Bilder wurden Wirklichkeit – Feuer, Verwesungsgeruch. Tief verschüttete Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Vietnam. Leuchtspurgeschosse, die über den Himmel zuckten. Blut und Artilleriefeuer. Zerfetzte Leichen.

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