Das Hohelied des Todes
Was, zum Teufel, war in der letzten Nacht zwischen ihnen vorgefallen? Er erinnerte sich, wie sich ihre Hand angefühlt hatte, und er wußte auch noch, daß er sie geküßt hatte, aber darüber hinaus war alles schwarz. Nicht einmal Schemen konnte er erkennen, nur Schwärze.
Er hatte sie so sehr begehrt. Womöglich hatten sie sich tatsächlich geliebt, und er hatte es vergessen.
Das Leben war so verdammt ungerecht!
Er sah auf seine Uhr. Kurz vor zehn. Morrison hatte ihm geraten, sich den Tag freizunehmen, aber dafür war er viel zu aufgedreht. Er konnte nicht tatenlos herumsitzen.
Clementine war verschwunden, kein Mensch hatte jemals etwas von Blade gehört, Kiki war nirgends zu finden, und den angemalten Burschen aus dem Film konnte auch niemand identifizieren.
Ein Reinfall auf der ganzen Linie.
Decker knallte sich auf seinen Stuhl und rieb sich die blutunterlaufenen Augen. Marge sprach ihn an.
»Geht’s dir nicht gut, Rabbi?«
»Mir geht’s beschissen, Marge.«
»Dann ist eine gute Nachricht genau das Richtige für dich.«
Deckers Miene heiterte sich auf.
»Es hat mit dem Fall nichts zu tun«, sagte sie. »Marriot und Bartholomew haben sich zum Dienst zurückgemeldet. Wir dürfen uns wieder unseren kriminellen Jugendlichen und Sexualverbrechern widmen.«
Decker warf ihr einen bösen Blick zu.
»Da können unsere Opfer wenigstens reden«, sagte sie tröstend.
»Der Fall macht mich noch fix und fertig.«
»Es nimmt ihn dir schon keiner weg, Pete. Den Fall will keiner haben. Du darfst aber auch nicht zu viel von dir verlangen. Immerhin konntest du zwei verkohlte Leichen identifizieren, und den Bates-Mord hast du auch aufgeklärt …«
»Aber ich habe immer noch keine Ahnung, wer die Gräfin umgebracht hat.«
»Du weißt, wie Lindsey Bates umgekommen ist. Wen kümmert es schon, daß die Gräfin das Zeitliche gesegnet hat? Sie hatte es verdient zu sterben.«
»Ich muß herauskriegen, wer dahintersteckt. Wir dürfen nicht zulassen, daß so etwas noch einmal passiert.«
Marge seufzte. »Du hast ja recht. Also, wie soll es nun weitergehen?«
»Frag mich was Leichteres.« Er brach einen Bleistift mitten durch.
»Übrigens hat Dr. Hennon angerufen, Pete. Sie sagt, bei Armbruster und der Gräfin handelt es sich um ein und dieselbe Person. Genau, wie wir dachten.«
Decker sprang auf. »Gerade fällt mir etwas ein. Ich muß mal schnell in die Pathologie, mir einen Schädel ausborgen.«
»Von wem sind die Zähne?« fragte Hennon am Telefon.
»Wahrscheinlich gehören sie dem Kerl aus dem Snuff-Film, von dem ich Ihnen erzählt habe«, sagte Decker.
»Aber wer dieser Mann war, wissen Sie noch nicht?«
»Nein.«
»Wie soll ich ihn dann identifizieren?«
»Ich lasse mir ein paar Einzelaufnahmen aus dem Film vergrößern, die ich Ihnen dann vorbeibringe. Wissen Sie noch, wie Sie mir anhand der Fotos mit Katie Armbruster weiterhelfen konnten, bevor wir ihre Röntgenaufnahmen hatten? Wie Sie den Schädel mit dem Foto verglichen haben?«
»Ich gebe nicht gern aufgrund von Bildmaterial ein Urteil ab. Dabei können sich zu leicht Fehler einschleichen.«
»Ich will doch nur sehen, ob die Knochen aus den Bergen zu dem Perversen aus dem Film passen. Ich muß wissen, ob ich auf der richtigen Spur bin. Bitte, Annie.«
»Wenn ich nur wüßte, wie ich das schaffen soll. Ich stecke bis zum Hals in Arbeit.«
»Ich habe den Schädel hier. Ich schicke ihn zusammen mit den Fotos rüber. Wir zahlen Ihnen die Überstunden.«
»Darum geht es nicht, Pete. Aber die Lebenden gehen nun einmal vor.« Sie machte eine Pause. »Na gut, ich schiebe es irgendwie dazwischen.«
»Sie sind ein Goldstück. Sie haben etwas gut bei mir.«
»Wie wär’s dann, wenn wir heute abend zusammen essen gingen?« schlug Hennon vor. »Auf rein freundschaftlicher Basis. Oder widerspricht das etwa auch Ihren Speisegesetzen?«
Eigentlich hätte er ihre Einladung sofort ausschlagen müssen, aber er konnte es nicht. Schließlich wollte er bloß mal wieder ganz normal – und auf rein freundschaftlicher Basis – mit einer hübschen Frau ein ganz normales Steak essen gehen. Was war daran auszusetzen?
»Man kann ruhig mal eine Ausnahme machen«, sagte er. »Vielleicht läßt es sich einrichten.«
Doch kaum hatte er den Hörer aufgelegt, plagte ihn schon das schlechte Gewissen.
»Komm, setz dich«, sagte Rina. »Wir wollten gerade essen.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Decker. »Ich bin nur vorbeigekommen, weil ich mich bedanken
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