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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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herum.
    »Wie schön. Vielen Dank. Ich werde mich bemühen, besser darauf aufzupassen.«
    »Du sollst ihn nicht in eine Glasvitrine stellen und wie einen wertvollen Kunstgegenstand behandeln, Peter. Lies darin, bis er auseinanderfällt. Das wird dir helfen.«
    »Ich brauche keine Hilfe, Rina.«
    »Das ist doch lächerlich. Jeder Mensch braucht Hilfe.«
    Wenn du jetzt nicht die Klappe hältst, fängst du nur einen Streit an, ermahnte er sich.
    Er stand auf und steckte den Siddur in die Jackentasche.
    »Danke«, wiederholte er.
    Ein paar Schritte vor dem Plymouth blieb er stehen. Als hätte er sich für den einen Abend nicht schon genug gequält, lehnte der Rosch-Jeschiwa an seinem Wagen und las mit Hilfe einer Taschenlampe im Talmud.
    Scheiße!
    »‘n Abend, Rabbi«, sagte Decker. »Sie wollen mit mir reden?«
    »Nehmen Sie mich ein Stückchen mit, Peter«, antwortete der alte Mann und knipste die Taschenlampe aus.
    Decker hielt ihm die Tür auf, ging um den Wagen herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Während er vom Jeschiwagelände fuhr und auf die Bergstraße einbog, saß der Rosch-Jeschiwa reglos neben ihm. Die Stille war erdrückend. Der Rabbi nahm zwei handgedrehte Zigaretten aus einem silbernen Etui. Er zündete sie an, reichte eine an Decker weiter und rauchte die zweite selbst. Im Profil hatte der alte Mann die Eindringlichkeit einer von Rodin gemeißelten Skulptur.
    Endlich brach der Rosch-Jeschiwa das Schweigen.
    »Sie haben bei Rina Miriam übernachtet«, sagte er leise.
    Wahrscheinlich hatte der Alte Augen im Hinterkopf.
    »Sie hat auf der Couch geschlafen«, antwortete Decker.
    Der Ton des Rosch-Jeschiwa wurde schärfer. »Ja, glauben Sie denn, ich hätte es für möglich gehalten, daß Sie mit ihr geschlafen haben?«
    Decker antwortete nicht.
    »Bilden Sie sich etwa ein, ich müßte Sie dafür auch noch loben?«
    Decker schwieg noch immer.
    »Wenn Sie nur ein Nichtjude wären, der einer Frau zuliebe zum jüdischen Glauben übertreten wollte, hätte ich mich nie mit Ihnen abgegeben, Peter. Niemals! Aber das ist ja bei Ihnen nicht der Fall. Sie sind von Geburt Jude, und nur durch eine Laune des Schicksals wurden Sie aus unserer Gemeinschaft herausgerissen. Ich habe mich über Ihre Adoption informiert, Peter. Ihre leibliche Mutter wollte, daß Sie an eine jüdische Familie vermittelt werden, aber dann kamen Sie wegen eines bürokratischen Fehlers zur falschen Agentur.«
    »Es war die richtige Agentur«, sagte Decker rauh. »Ich habe wunderbare Eltern.«
    »Das glaube ich Ihnen gern«, antwortete Schulman. »Sie haben Sie zu einem guten Menschen erzogen. Aber das ist nicht der springende Punkt.«
    Decker wartete ab, was der alte Mann noch zu sagen hatte.
    »Vor vier Monaten sind Sie zu mir gekommen und haben mir gesagt, Sie interessierten sich für den jüdischen Glauben. Gewiß, Rina war der auslösende Faktor, aber Sie haben behauptet, es ginge tiefer, und ich habe Ihnen geglaubt. Doch nun regen sich bei mir allmählich Zweifel an Ihrer Einstellung. Vielleicht wollten Sie nur an Rina herankommen.«
    »Das ist nicht wahr.«
    »Schon möglich. Aber selbst wenn es so gewesen wäre, hätte ich mich nicht anders verhalten. Mir lag sehr viel daran, Sie zu Ihren Wurzeln zurückzuführen, auch wenn ich deshalb meine Ohren vor gehässigem Klatsch verschließen mußte. Schließlich sind Sie ja noch nicht übergetreten, für die Welt sind Sie immer noch ein Nichtjude. Ich habe nichts dagegen gesagt, daß Sie in der Jeschiwa offen um eine religiöse Frau werben. Aber was Sie sich gestern nacht geleistet haben, geht zu weit!«
    »Hören Sie, Rabbi. Wenn ich Sie dadurch, daß ich bei Rina übernachtet habe, in Verlegenheit bringe, tut es mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen. Das habe ich Rina ebenfalls gesagt. Aber manchmal macht mich meine Arbeit so fertig, daß ich mich zu etwas Unüberlegtem hinreißen lasse.«
    Schulman verzog keine Miene.
    »Sie sind nicht der einzige, der mit einer großen Verantwortung leben muß, Peter. Sie sind nicht der einzige, der mit den schlimmsten Seiten der menschlichen Natur in Berührung kommt. Und Sie sind auch nicht der einzige, der Schmerzen erlitten hat. Allerdings haben Sie das Problem, daß Sie nicht wissen, wie Sie solche Schläge meistern sollen. Sie brauchen Hilfe, mein Freund. Sie brauchen Rat und Trost.«
    Die Augen des alten Mannes flammten auf. Er holte einen Taschensiddur heraus und knallte ihn Decker vor die Brust.
    » Hier finden Sie Trost! Hier finden Sie

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