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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Rat! Öffnen Sie Ihr Herz, bitten Sie Haschem um die Kraft und die Stärke, den nächsten Tag zu überstehen, denn Er allein kann Ihnen Frieden geben. Hakadosch-baruch-hu! Haschem allein. Keine Frau, die Ihnen die Hand tätschelt und sagt ›Es wird alles wieder gut‹, die Sie tröstet wie ein Kind, das sich das Knie aufgeschlagen hat.«
    »Ich habe ja versucht zu beten.«
    »Dann haben Sie es nicht richtig versucht!«
    »Manchmal genügt es eben nicht!«
    »Sie erwarten also, Ihr Seelenheil in den Armen einer Frau zu finden? Oder noch schlimmer, in der Flasche?«
    Seine Worte trafen Decker bis ins Mark. Rina hatte ihn verraten. Er hatte bei ihr Trost gesucht, und sie hatte sein Leid zum Gegenstand öffentlicher Kritik gemacht.
    »Sie hat es Ihnen erzählt«, sagte er bitter.
    »Ihr liegt der gute Ruf unserer Schule am Herzen.«
    »Na, jetzt weiß ich wenigstens, wo ihre Loyalitäten liegen.«
    »Loyalitäten!« Der alte Mann blies seinen Zigarettenrauch aus dem Fenster. »Wenn Sie kein Vertrauen zu Haschem haben, können Sie auch kein Vertrauen zu den Menschen haben – nicht einmal zu denen, die Sie lieben. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, Rina Miriam hätte mich angerufen, um mir zu erzählen, daß Sie betrunken bei ihr aufgetaucht sind? Im Gegenteil, sie hat mir gesagt, Sie wären so krank und mit den Nerven am Ende, daß sie Sie bei sich übernachten lassen müßte. Ich habe ihr erklärt, daß sich so etwas für sie nicht ziemt, und ihr angeboten, hinüberzukommen und Sie zu holen. Möchten Sie wissen, was sie mir darauf geantwortet hat?«
    Decker schwieg.
    »Sie hat gesagt: ›Auf gar keinen Fall. Er bleibt hier. Wenn mein Entschluß Ihnen Schande macht, werde ich die Jeschiwa verlassen, aber er ist krank, er schläft und darf sich nicht bewegen!‹ Und wissen Sie, was sie damit wirklich gesagt hat?« fragte Schulman heftig. »›Lieber bringe ich Schande über mich, als es zuzulassen, daß er vor Ihren Augen bloßgestellt wird, Rav Schulman.‹ Und in dem Augenblick …«, Schulman hielt den Zeigefinger hoch, »… in dem Augenblick wußte ich, daß Sie betrunken waren, denn es ist ja schließlich keine Schande, einen Kranken zu sehen, oder? Im Gegenteil, es ist eine gute Tat, einem Kranken zu helfen, und sie hätte mich nie daran gehindert, eine Mizwa zu erfüllen.«
    Der Rabbi drückte die Zigarette mit der bloßen Hand aus und warf sie in den Aschenbecher.
    »Es war ein Fehler von Rina, sich mit Ihnen einzulassen. Ganz egal, wie nett und verständnisvoll Sie auch während der schlimmen Zeit damals waren, Sie waren nun einmal kein Jude! Das ist der springende Punkt! Solange Sie kein gesetzestreuer Jude sind, hätte sie Ihnen aus dem Weg gehen sollen. Aber sie hat sich anders entschieden, und jetzt muß sie für ihre Entscheidung büßen. Ich bekomme viel zu sehen und zu hören, Peter. Tag für Tag muß sie Gespött erdulden, ständig wird sie von ihren Eltern und Freunden unter Druck gesetzt. Das alles hält sie aus, weil sie Sie liebt und weil sie Ihnen glaubt, daß Sie übertreten wollen. Gestern nacht haben Sie sie kompromittiert. Es war völlig klar, daß Rinas sittliches Verhalten kritisch beobachtet wurde. Sie hat Ihre Ehre über die eigene gestellt. Sie ist eine tapfere Frau. Sie ist zu gut für Sie.«
    Decker schluckte, er hatte eine trockene Kehle.
    »Das habe ich auch nie bestritten.«
    Seine Antwort schien dem Rabbi nicht zu gefallen. Er bat Decker umzukehren. Schweigend fuhren sie zur Jeschiwa zurück. Auf dem Parkplatz hielten sie an, und Decker stellte den Motor ab. Eine Zeitlang saßen sie im Dunkeln zusammen und lauschten den nächtlichen Geräuschen. Der Himmel war klar, Mondstrahlen fielen durch die Äste der Eichen und Eukalyptusbäume.
    Der Rabbi wandte sich Decker zu und sah ihn an.
    »Sie können sich entweder in Selbstmitleid suhlen, oder Sie können etwas tun.« Sein Ton war sanfter geworden. Er legte Decker die Hand auf die Schulter und sagte: »Sie haben die Wahl, mein Freund.«

18
    »Du arbeitest heute nicht?« fragte Rina, als sie ihm die Tür aufmachte.
    »Ich habe mir den Tag freigenommen.« Decker trat ein.
    Sie hatte den Eindruck, daß er wütend war. Er biß die Zähne zusammen, und in seinen Schläfen pochte es. Sie suchte seinen Blick, aber er wich ihr aus.
    »Was hast du?« fragte sie.
    »Warum hast du Rabbi Schulman erzählt, daß ich bei dir übernachtet habe?«
    »Ich mußte.«
    »Du mußtest?« wiederholte er höhnisch. »Hat dich etwa ein kleiner Kobold

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