Das Hospital der Verklärung.
eine Abteilung aussuchen. Aber sieh dich vorher gut um.«
Der redet beinahe wie Tante Skoczyńska, durchfuhr es Stefan, laut aber fragte er: »Und wo sind … sie?«
Er sah durchs Fenster nebelverhangene Blumenbeete, schattenhafte Umrisse von Pavillons. Einen davon überragte ein türkisches Minarett, oder war es ein maurisches? Stefan kannte sich auf diesem Gebiet nicht aus.
»Alles bekommst du zu sehen. Dort sind sie untergebracht, und da drüben auch. Unser Alter hat bald Namenstag. Da kannst du einen Heidenspaß erleben. Heute wirst du natürlich noch nicht durch die Säle gehen, ich will dich systematisch einführen, damit du dich nicht verläufst. Ja, mein Lieber, du bist in einem Irrenhaus.«
»Das weiß ich.«
»Es scheint dir nur so. Als du in der Psychiatrieprüfung warst, hast du doch nur einen einzigen Patienten unter Beobachtung gehabt, dazu gewiß noch einen neurologischen Fall, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»Na, siehst du. Die Therapie ist gar kein Kunststück. Bei einem Geisteskranken bis zu vierzig Jahren heißt es: Dementia praecox, kalte Bäder, Brom und Skopolamin. Über vierzig – Dementia senilis: Skopolamin, Brom undkalte Duschen. Na, und die Schocks nicht vergessen. Weiter brauchst du eigentlich nichts in der Psychiatrie. Aber, mein Lieber, wir sind hier eine winzige Insel in einem wundersamen Meer. Und ich sage dir, wenn das Personal nicht wäre, wenn … Doch lassen wir das, du wirst von selbst dahinterkommen – es lohnte sich, das ganze Leben hier zu verbringen, auch als Nichtarzt …«
»Als Irrer, wolltes du wohl sagen?«
»Aber, was faselst du! Als Gast, meinte ich. Wir haben übrigens etliche hier. Du kannst hervorragende Leute bei uns kennenlernen, lach nicht, ich rede im Ernst.«
»Da bin ich gespannt.«
»Selukowski zum Beispiel.«
»Was du nicht sagst, der Dichter? So ist er …«
»Ach, keine Spur! Er ist eben bei uns eine Zeitlang untergebracht, das heißt, wie soll man’s ausdrücken? Rauschgiftsüchtig. Morphium, Kokain, Mescalin sogar, aber schon geheilt. Er macht bei uns gewissermaßen Ferien. Um es kurz zu sagen, er hält sich hier vor den Deutschen versteckt. Tagelang sitzt er und schreibt, aber keineswegs Gedichte, sondern wahre philosophische Kanonaden! Du wirst ja sehen. Doch jetzt ist es Zeit für meinen Abendrundgang, da lasse ich dich eine halbe Stunde allein, einverstanden?«
Staszek ging. Stefan stand noch lange am Fenster, dann ergriff er allmählich Besitz von seinem neuen Reich. Wie entscheidend doch die Umgebung für den Menschen ist. Alles ringsum drang in einer unerklärlichen Weise in ihn. Das geschah vor allem, wenn er die Dinge nicht unter die Lupe seines aufmerksamen Blicks nahm, sondern sie, der Ruhe hingegeben, an sich herankommen ließ. Er fühlte, wie sich auf den Erlebnissen der letzten Tage eine neue, andersartige Schicht abzulagern begann, wie diese Lava der Erinnerungen von unter her starr wurde, lediglichvon Träumen noch erschüttert, während sie sich an der Oberfläche fließend und flatternd den Reizen der Außenwelt darbot.
Vor dem Spiegel machte er halt. Als sein Gesicht auf der gläsernen Tafel erschien, musterte er es lange. Die Stirn hätte ein wenig höher sein können, das Haar entweder ganz blond oder aber rabenschwarz; indem war lediglich sein Bartwuchs konsequent schwarz, wodurch er stets unrasiert wirkte. Und die Augen – er hielt sie für nußfarben, andere hingegen fanden sie braun. Also ebenfalls nichts Eindeutiges. Nur die Nase, die er vom Vater geerbt hatte, war scharf und gebogen, eine »habgierige Nase«, wie die Mutter zu sagen pflegte. Stefan spannte die Gesichtsmuskeln leicht an, straffte die Züge, damit sie edler aussähen. So stand er eine geraume Weile grimassenschneidend vor dem Spiegel, bis er unvermittelt kehrtmachte und ans Fenster trat.
Wenn ich doch endlich einmal aufhörte mit diesen Hanswurstiaden! dachte er. Ich werde Pragmatiker. Handeln, das ist die Devise. Ein Ausspruch seines Vaters fiel ihm ein: »Ein Mensch, der kein Lebensziel hat, muß sich eines schaffen.« Im übrigen täten ganze Plejaden von Zielen not für die nähere und fernere Sicht. Und zwar kein unbestimmtes »Tapfersein« oder »Gutsein«, sondern einfach ein »Klosettreparieren«. So etwas muß sicherlich weit mehr Befriedigung gewähren. Und er sehnte sich mit einemmal nach dem Los des kleinen Mannes.
»O Gott, wenn ich so pflügen, säen, ernten und wieder pflügen könnte. Oder sagen wir Schemel anfertigen,
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