Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Blick sonderbar kurz oder aber auf einem beliebigen Gegenstand ruhend, als führten Glasstäbchen von den Augen zu ihm – dies waren die auffallendsten Merkmale bei den meisten Kranken, zumindest wirkte das bei diesem flüchtigen Rundgang so. Auf dem Flur stieß ein Wärter einen Patienten vor sich her.
    Seine Bewegungen waren nicht gerade brutal, schienen aber nicht einem Menschen zu gelten. Lediglich für den Augenblick, da Stefan und Dr. Nosilewska vorbeigingen, wurden sie etwas gemildert. Von irgendwoher hallte ein maßvolles Brüllen, als schriee jemand nicht aus Zwang oder vor Schmerzen, sondern aus reiner Überzeugung, gewissermaßen um sich darin zu vervollkommnen. Übrigens war auch die Nosilewska recht eigenartig; er hatte das schon am Morgen beobachtet. Während sie beim Frühstück saßen, versuchte Stefan, Ästhet, der er war, sich ihre Züge genau einzuprägen. Da bemerkte er, daß sie den Blick mit schwanenhaft über die dampfende Tasse geneigtem Kopf ins Nichts – ganz deutlich ins Nichts – richtete und, darein vertieft, aufhörte zu sein. Zwar sah er weiterhin alle vegetativen Symptome ihres Lebens – den zarten Pulsschlag in der Halsgrube, das unbewegte Dunkel der Pupille und das Zittern der Wimpern –, aber er war überzeugt, daß die entrückte Verzückung, die sich auf ihrem Antlitz malte, eben jene Wollust der Erstarrung, des gedankenleeren, absoluten Nichtseins sei. Als sie wieder bei sich war und ihre blauen, ein wenig verdutzt dreinschauenden Augen allmählich zu ihm hob, erschrak er beinahe. Und kurz darauf, als ihre Knie versehentlich aneinanderstießen, zog er hastig sein Bein zurück – die Berührung schien ihm gefährlich.
    In der Frauenabteilung befand sich Dr. Nosilewskas gut eingerichtetes Kabinett. Obgleich hier keine Gegenstände des persönlichen Bedarfs zu sehen waren, schwebten doch unfaßbar Spuren ihrer Weiblichkeit in der Luft; natürlich nichts so Simples wie Parfümduft. Sie nahmen an dem weißen Metallschreibtisch Platz. Dr. Nosilewska holte die Kartothek aus der Schublade. Wie jede Ärztin mußte sie auf das Lackieren verzichten, aber die kurzen, abgerundeten Nägel, die ihre Finger zierten, waren knabenhaftschön. Hoch oben an der Wand hing ein Kruzifix, klein, schwarz, von zwei viel zu mächtigen Haken festgehalten. Stefan war verwundert, doch er durfte nicht abschweifen: Die Ärztin erläuterte ihm in sachlichem Ton sein Betätigungsfeld. Ihre Stimme war ein klein wenig brüchig, als hätte sie dauernd die Absicht, Triller auszustoßen. Stefan hatte nie zuvor eine psychiatrische Krankengeschichte verfaßt; bei seinen Examensvorbereitungen hatte er natürlich bereits vorhandenes Material ausgewertet. Als er nun erfuhr, er brauche vorläufig keine neuen Karten anzulegen, sondern dürfe die alten weiterführen, zollte er diesem Beschluß der Nosilewska Beifall. Offenbar war sie mit ihm einer Meinung, daß die ganze Schreiberei verdammt langweilig und überflüssig sei, aber aus Tradition beibehalten werden müsse.
    »So, jetzt sind Sie im Bilde, Herr Kollege.«
    Er dankte ihr, und man ging zur Praxis über. Hinterher zerbrach sich Stefan lange den Kopf, ob denn diese elegante Frau in ihren hauchdünnen Seidenstrümpfen und dem reizvoll zugeschnittenen weißen Kittel – er wurde mit einem grauen Perlmutterknopf geschlossen – vorausgesehen habe, wie diese kleine Genreszene ausfallen würde. Dr. Nosilewska klingelte nach der Pflegerin, einem flachshaarigen, stämmigen Mädel.
    »Gewöhnlich geht man durch die Zimmer und fragt die Patientinnen nach ihrem Befinden und ihren Vorstellungen, na, den Symptomen, Sie verstehen mich, Kollege. Jetzt aber möchte ich Ihnen hier einen Teil meines Reichs präsentieren.«
    Es war in der Tat ihr Reich: Wiewohl er nicht unter Klaustrophobie litt, war ihm das Absperren der vielen Türen mit jenem magischen Schlüssel unangenehm. Sogar hier im Kabinett prangte ein Gitter vor dem Fenster, und in der Ecke hinter dem Medikamentenschrank lag einHaufen zerknülltes, achtlos hingeworfenes Leinen: eine Zwangsjacke. Die erste Patientin, die hereingeführt wurde, sah vorteilhaft aus in ihren überlangen und engen Schlafanzughosen. Die Hüften zeichneten sich darin besonders weiblich ab. Ihre Füße staken in schwarzen Schuhen. Das Gesicht war fast ausdruckslos, doch lauerte eine Überraschung darauf. Mit dem entsprechenden Make-up hätte man sie sogar hübsch finden können. Sie hatte sich die Brauen geradezu aufdringlich, sicherlich mit

Weitere Kostenlose Bücher