Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
und golden schimmerte. Unter der klaren, gewölbten Stirn schossen die Brauen wie Pfeile nach beiden Seiten, darunter lagen streng blickende, nahezu magnetische blaue Augen. Sie war von einer vollkommenen Schönheit, daher merkte man nicht gleich, daß sie den Blick des Betrachters durch keinerlei Koketterie lockte. Sie strahlte eine mütterliche Ruhe aus, wie sie Aphrodites Zügen eigen ist, aber wenn sie lächelte, dann lächelten auch ihre Haare in hellen Funken, ihre Augen und eine winzige Vertiefung in der linken Wange, kein Grübchen, sondern nur eine schalkhafte Erinnerung daran.
    Ferner gab es da noch einen jüngeren Arzt, sommersprossig, dunkelhaarig, mit buckliger Nase. Keiner sprach mit ihm. Er hieß Kuśniewicz.
    Stefan konnte sich bei Tisch mit den unterschiedlichsten Meinungen vertraut machen. Der eine sagte, die Arbeit wäre schwer, aber interessant, der andere hielt sie für langweilig; es gebe keinen besseren Beruf als Psychiatrie, wenn die Mehrzahl der Anwesenden auch lieber das Fach gewechselt hätten; die Patienten wären völlig unmöglich, doch still und friedlich; es lohnte überhaupt nicht die Mühe,da ja nur Anomale den Psychiater aufsuchten, und so müßten alle Schocks nehmen, womit die Sache erledigt sei. Diese Widersprüche ergaben sich offensichtlich aus den individuellen Anschauungen der Gesprächspartner. Die Politik wurde im allgemeinen mit Schweigen übergangen. Es war hier wie auf dem Meeresgrunde: Es herrschte eine träge, langsame Bewegung, und die heftigsten Stürme an der Oberfläche äußerten sich nur durch Schwingungen besonderer Art, umgesetzt in Differenzen bei der Krankheitsdiagnose.
    Am zweiten Tage seines Aufenthaltes im Sanatorium stellte Stefan fest, daß er noch nicht alle Ärzte kannte. Als er in Begleitung Dr. Nosilewskas die Morgenvisite machte – man hatte ihn der Frauenabteilung zugewiesen –, begegnete er auf dem Kiesweg, den die triefenden Bäume benetzt hatten, einem hochgewachsenen Mann im weißen Kittel. Stefan sah ihn nur einen Augenblick, aber das genügte, sich den Fremden gut einzuprägen. Ein unschönes, gebliches Gesicht, das aus einem harten Stoff, etwa Elfenbein, geschnitzt schien, die Augen hinter trüben Gläsern verborgen, eine Nase riesig wie ein Dolch, und dünne, über die Zähne gespannte Lippen; er erinnerte an die Mumie Ramses’ des Zweiten, die Stefan irgendwo in einer Reproduktion gesehen hatte: eine asketische Alterslosigkeit, eine gewisse Überzeitlichkeit der Züge. Die Falten repräsentierten hier nicht die Anzahl der Lebensjahre, sie gehörten zur Skulptur des Gesichts. Der Arzt – Stefan erfuhr, er sei der Erste Chirurg des Sanatoriums – war dürr wie eine Kleiderstange, zudem plattfüßig; er watschelte breit und kotspritzend daher, grüßte die Kollegin Nosilewska unhöflich und erklomm die Wendeltreppe zum roten Pavillon.
    Dr. Nosilewska hielt in ihrer schneeweißen Hand einen Schlüssel, mit dem sie die Verbindungstür zwischen denPavillons aufschloß. Fast alle Gebäude waren durch lange, oben verglaste Galerien verbunden, damit sich die Ärzte bei den Krankenbesuchen nicht dem Frost und dem Regen auszusetzen brauchten. Die Galerien erinnerten an glasgedeckte Orangeriegänge. Betrat man jedoch einen Pavillon, so schwand dieser Eindruck. Alle Wände waren mit blaßblauer Ölfarbe gestrichen. Keine Hähne, keine Vorsprünge, keine Kontakte oder Klinken: die Mauern glatt bis zu einer Höhe von zweieinhalb Metern. In den kühlen, hellen Räumen mit den diskret vergitterten oder netzverhangenen Fenstern, vor denen große Blumenkästen angebracht waren, ergingen sich längs der zwei Reihen Betten, die säuberlich, fast militärisch gebaut worden waren, die Patienten in roten Morgenröcken und schlurfenden Papplatschen.
    Dr. Nosilewska schritt mit mechanischen, leichten, beinahe schlafwandlerischen Bewegungen durch die Säle, immer wieder Türen öffnend und schließend; Stefan besaß auch schon einen Schlüssel, doch er hätte es nicht so geschickt tun können wie sie.
    Er sah blasse und eingefallene, man hätte sagen können den Knochen aufsitzende, dann wieder bovistähnlich aufgeblähte Gesichter, krankhaft gerötet und unrasiert. Die Männer waren bis auf die Haut geschoren, eine solche Maßnahme aber verwischt jegliche Individualität. Ihrer Haarhülle beraubt, kamen die Buckel und all die abnormen Schädelbildungen zum Vorschein, die in ihrer Häßlichkeit auch den Gesichtsausdruck beeinträchtigten. Abstehende Ohren, der

Weitere Kostenlose Bücher