Das Hospital der Verklärung.
man aus der Welt!« Krzeczotek war so in Schwung geraten, daß das Sanatorium in seinem Munde die Gestalt eines außer- oder überirdischen Observatoriums annahm, einer komfortablen Einsiedelei, in der sich ein von der Natur mit hervorragenden Gaben ausgestatteter Geist beliebig entfalten könnte. So redeten und redeten sie; Stefan, noch immer der festen Überzeugung, daß nichts daraus werden würde, sekundierte dem Freund nach Kräften, da außerhalb dieses Gesprächsstoffs gähnende Leere drohte.
Plötzlich klopfte es. Die beiden Tanten und Onkel Anzelm schickten sich an, zum Bahnhof aufzubrechen. Stefan hätte ihnen eigentlich seine Begleitung anbieten müssen, aber es gelang ihm, sich dieser Pflicht durch hastiges Händeküssen und überhäufiges Verbeugen zu entziehen. Tante Aniela schien ihm guter Laune zu sein, was er ihr in einer anderen Situation übelgenommen hätte – denn Ksawerys Bericht stand noch zu frisch in seiner Erinnerung. Aber jetzt brannte er einzig und allein darauf, möglichst schnell wieder zu Krzeczotek zu gelangen, und so ließ er das Moralisieren bleiben. Ein letzter Kontakt mit der Familie, das hochherrschaftliche Benehmen Onkel Anzelms, der ihn zum Kusse umarmte, ihm aber nur mit seiner rauhen Wange das Gesicht streifte, ein paar sinnlose Empfehlungen und Ratschläge Tante Melanias, all das machte Staszeks Vorschlag plötzlich im höchsten Maße attraktiv. Als er jedoch zu dem Freund zurückgekehrt war, der im Salon mit geheuchelter Nonchalance die alten Kupferstiche an den Wänden betrachtete, wurde er wieder unschlüssig. Endlich, nachdem er alles Für und Wider erwogen hatte, beschloß Stefan, erst einmal nach Hause zu fahren; dort würde er seine Angelegenheiten regeln – das war reine Erfindung,denn er hatte ja nichts zu regeln; aber es klang immerhin gut und sachlich. Danach wollte er, das heißt erst nach einer gewissen Zeit – er unterstrich das, um nicht in gar zu schlechtem Licht dazustehen –, nach Bierzyniec kommen.
Gegen Mittag verabschiedete sich Stefan höflich, aber kühl von seinem Onkel und ging zum Bahnhof. Krzeczotek begleitete ihn, da er Stefans Zug bis Bierzyniec benutzen konnte.
Es war ein warmer, frühlingshafter Tag; die tauenden Schneemassen murmelten, unterspült von Wasserbächen, die die Straßen in einen entsetzlichen Strudel verwandelt hatten. Die jungen Leute verloren unterwegs kaum ein Wort, der Marsch durch die Pfützen erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit, und schließlich hatten sie auch nichts Gemeinsames zu besprechen. Auf dem Bahnhof standen sie noch eine Weile gelangweilt umher und nahmen Zuflucht zum Rauchen. Sie verbargen die glimmenden Zigaretten in der hohlen Hand, ganz wie einst in den Kollegpausen. Dann kam der Zug. Er hielt noch nicht, da beschloß Staszek bereits unter dem Eindruck des Anblicks, der sich ihm bot, lieber zu Fuß zu gehen: Die Wagen quollen geradezu über von Menschentrauben, die an den Fenstern klebten, auf den Dächern wimmelten und an allen Geländern, Türklinken und Trittbrettern hingen. Endlich stand der Zug. Sogleich wurde er von dem ansehnlichen Haufen der wartenden Bauern und Krämer gestürmt, und ein lärmendes Ringen um die Plätze begann. Stefan entfaltete darin eine Verbissenheit, die ihn selbst überraschte; er drängte und boxte sich blindlings mit einer solchen Verzweiflung in die Mauer der Schafpelze, als hinge sein Leben davon ab. Der Zug ruckte bereits unter allgemeinem Gezeter an, da gelang es ihm, einen Fuß auf die äußerste Kante eines Trittbretts zu setzen und mit beidenHänden die über ihm an der Abteiltür Baumelnden an Rümpfen und Mänteln zu packen. Er besaß jedoch noch die Geistesgegenwart, zu begreifen, daß er sich in dieser Lage nur ein paar Minuten würde halten können: er sprang daher ab und wäre beinahe gefallen, denn der Zug fuhr schon ziemlich schnell. Doch er kam mit einem saftigen Spritzbad, gemischt aus Schnee und Schmutzwasser, glimpflich davon. Als er sich, rot vor Anstrengung und Zorn, vom Bahnsteig abwandte, bemerkte er Staszeks mitleidiges, wenngleich freundliches Lächeln. Sein Zorn steigerte sich darob noch mehr, aber der Freund, der seine Bemühungen verfolgt hatte, rief von weitem: »Reg dich nicht auf, Stefan, du siehst ja, das Schicksal will es so und nicht ich. Komm, nun gehen wir zusammen nach Bierzyniec …«
Stefan stand eine Weile unentschlossen, dann stammelte er etwas – jetzt nicht mehr von gewissen »Angelegenheiten, die zu regeln« seien, sondern
Weitere Kostenlose Bücher