Das Hospital der Verklärung.
die Suche nach der »absoluten Wahrheit«, nach dem »Sinn des Lebens« und ähnliche ontologische Erörterungen mehr. Keiner wäre allein auf Formulierungen von solcher Schärfe und Prägnanz gekommen. Sie spornten sich gegenseitig an und ergänzten einander. Allerdings ließ ihre Vertrautheit bei rein persönlichen Dingen merklich nach. Staszek hatte sich für seine erotischen Mißerfolge eine ganze Theorie zurechtgemacht: Er glaubte einfach nicht an die Liebe. Darüber lesen – das ging noch an; aber daran glauben – nein. »Mann«, sagte er oft, »du brauchst ja nur bei Abderhalden nachzuschlagen! Injizierst du einem Affen Prolaktin und schiebst ihm einen Welpen unter, sofort wird der Affe das Junge liebevollumsorgen. Sobald du aber die Hormoninjektion einstellst, dauert es vielleicht zwei, drei Tage, und der Affe wird das Junge einfach fressen. Da hast du deine Mutterliebe, jenes hehrste aller Gefühle: ein Schuß Chemikalien im Blut!«
Stefan sah mit heimlicher Überlegenheit auf seinen grollenden Freund herab. Obgleich von schlankem Wuchs, hatte Krzeczotek ein Vollmondgesicht und darin eine gutmütige Kartoffelnase, an deren Spitze stets ein großer Pickel prangte. Winters fror er immer, denn er trug keine langen Unterhosen und hielt das für ein Zeichen von Männlichkeit. Überdies war er etwa drei Viertel des Jahres unglücklich verliebt, und zwar auf eine auffällige, hoffnungslose und überaus komische Weise. Ihr Verhältnis hatte sich seinerzeit so gefügt, daß sie sich sehr viel über das Leben im allgemeinen, dafür aber fast gar nicht über das eigene unterhalten hatten. Heute jedoch, in Onkel Ksawerys Salon, der trotz des sonnenhellen Tages düster war, vor den verschlissenen Damasttapeten, fiel es schwer, gleich wieder den erlösenden philosophischen Gesprächsstoff zu finden. Daher breitete sich, als Krzeczotek seinen Bericht beendet hatte, hatte, ein unangenehmes Schweigen aus, das er zu brechen versuchte, indem er Stefan nach seinen Berufsaussichten fragte.
»Ich? Ach, vorläufig nichts … Augenblicklich habe ich noch keine Stelle. Die Deutschen … die Besatzung … ich weiß es selbst nicht. Ich suche noch. Etwas wird man ja tun müssen, sich eine Arbeit verschaffen, aber eigentlich habe ich noch nichts Festes in Aussicht.« Stefan zog die Worte immer mehr in die Länge. Wieder verstummten beide, nun für eine geraume Weile. Fieberhaft nach einem Thema suchend, nahm Stefan das Gespräch wieder auf, nicht etwa, weil er neugierig gewesen wäre, sondern nur, umdie Leere auszufüllen und die Enttäuschung darüber zu betäuben, daß sie sich so wenig zu sagen hatten.
»Nun, und wie ist es dir in deinem Sanatorium ergangen?«
»Ja, das Sanatorium …«
Krzeczotek machte sich mit frischer Begeisterung ans Erzählen, brach jedoch mitten im Wort ab, seine Augen weiteten sich, und sein Gesicht verklärte ein unerwarteter Gedanke. »Stefan, hör mich an! Es fiel mir gerade so ein, aber was schadet’s? Dem Archimedes kam ja die Erleuchtung auch plötzlich … Na ja, du weißt schon! Hör zu, Stefan, wie wäre es, wenn du beispielsweise zu uns ins Sanatorium kämest? Eine gute, um nicht zu sagen ausgezeichnete Stellung, Spezialisierung und so weiter, außerdem kennst du die Gegend, hast deine Ruhe, die Arbeit ist interessant, und … dir bleibt sehr viel freie Zeit, so viel, daß du sogar nebenher wissenschaftlich arbeiten kannst. Du hattest doch so etwas vor, wenn ich mich recht erinnere …«
»Ich – an einem Sanatorium?« sagte Stefan zweifelnd und lächelte verlegen. »Weißt du, so aus heiterem Himmel … Ich bin hier zur Beerdigung, und mit einemmal … Aber wenn man’s recht bedenkt … Eigentlich ist mir alles einerlei«, entfuhr es ihm, und er hielt inne in der Vermutung, daß die letzten Worte unpassend geklungen hatten; Staszek aber war wohl nichts aufgefallen. Sie unterhielten sich noch ein Viertelstündchen – hatten sie ja nun ein konkretes Thema –, malten sich aus, wie es wäre, wenn Stefan wirklich an das Sanatorium ginge, da dort tatsächlich eine Arztstelle vakant war. Staszek setzte alles daran, Stefans Bedenken zu zerstreuen. »Du hast dich nicht auf Psychiatrie spezialisiert? Wenn’s weiter nichts ist, niemand wird als Spezialist geboren. Hervorragende Kollegen sind dort, du wirst schon sehen! Na ja, Ärztesind auch Menschen, und da gibt’s eben gute und schlechte. Aber es ist hochinteressant. Und der Aufwand! Es ist, als gäbe es keine Okkupation, ach was, als wäre
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