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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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langgezogenes, weinerliches Winseln. Die sehr dicke Glasscheibe in einer niedrigen Tür gewährte den Durchblick in eine deckenlichterhelle Isolierzelle, in der eine nackte Frau umherlief und mit dem ganzen Körper wie ein Sack gegen die gepolsterten Wände schlug. Als ihr Blick auf Stefans Gesicht traf, erstarrte sie. Sekundenlang war sie ein normaler Mensch, beschämt durch die widerliche Situation und ihre Nacktheit. Dann murmelte sie etwas und kam langsam näher. Alsihre Köpfe nur noch durch das Fenster voneinander getrennt waren, das sie mit ihren langen roten Haaren berührte, sperrte sie die blau angelaufenen Lippen auf und begann mit ihrer zerbissenen Zunge an der Scheibe zu lecken, Fäden rosa gefärbten Speichels hinterlassend.
    Stefan floh Hals über Kopf. Der nächste Saal empfing ihn mit Gejohle. Im Bad wollte eine Schwester eine Patientin, die sich heulend und mit aller Kraft sträubte, in die Wanne stoßen. Die Waden der Kranken waren stark gerötet. Das Wasser war zu heiß. Stefan ließ kaltes nachgießen. Er behandelte die Schwester viel zu höflich, das wußte er, doch er brachte es nicht fertig, grob zu werden. Dafür sei später noch immer Zeit, versuchte er sich einzureden.
    In Saal drei herrschte Schnarchen, Wimmern und Pfeifen. Unter dunklen Decken lagen Frauen, die Insulinschocks bekommen hatten. Zuweilen kroch ein blaßblaues Auge unter der Bettdecke hervor und folgte ihm wie der leere Blick eines Insekts. Dann wieder streifte eine Hand in verspielter Gebärde seinen Kittel. Im Korridor begegnete er Staszek. Seine Miene war wohl recht verstört, denn der Freund klopfte ihm begütigend auf die Schulter und sagte, ehe Stefan Worte gefunden hatte: »Nun, was ist los? Um Himmels willen, nimm das nicht so tragisch …« Er bemerkte, daß Stefans weißer Kittel unter den Achseln feucht war.
    »So bist du in Schweiß geraten? Sieh mal einer an …«
    Stefan berichtete von den ekelhaften Reden der ersten Patientin und von dem niederschmetterndem Äußeren der anderen. Endlich vor jemand sprechen zu können, verschaffte ihm eine gewisse Erleichterung.
    »Du bist ein Kind. Das sind doch weder Aussagen noch Urteile. Krankheitssymptome, begreifst du?«
    »Ich will nicht länger hierbleiben!«
    »Die Frauenabteilung ist meistens etwas schlimmer. Sei nicht albern. Im übrigen habe ich schon mit Pajpak gesprochen.« Stefan stellte befriedigt fest, daß Staszek ein wenig den Wichtigen markierte. »Ich habe das geahnt, aber die Nosilewska ist nun mal allein und braucht dringend Hilfe. Bleib pro forma noch eine Woche bei ihr, dann werden sie dich zu Rygier versetzen. Oder warte! Das ist überhaupt ein Gedanke! Bist du nicht einmal Narkotiseur bei Wlostowski gewesen?«
    Tatsächlich war Stefan im Narkosegeben erfahren.
    »Denn, siehst du, Kauters beklagt sich gerade, er habe niemand. Du weißt doch, der Oribald.«
    »Wer?«
    »Dr. Oribald Kauters«, skandierte Staszek. »Interessanter Name, was? Der Mann sieht aus wie ein Ägypter und stammt aus einem kurländischen Adelsgeschlecht. Neurochirurg. Kein schlechter Operateur!«
    »Ja, das wäre wohl das beste … Da könnte ich wenigstens etwas lernen. Denn hier …« Stefan vollführte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Ich wollte es dir schon früher sagen, aber ich bin nicht dazu gekommen. Unser Pflegepersonal ist durchweg unqualifiziert. Die Leute verfahren ein wenig bäurisch, kurz gesagt: brutal. Es passieren sogar allerhand Schweinereien.«
    Stefan gab seine Beobachtung zum besten, wie die Pflegerin die Patientin beinahe in einem siedenden Bad verbrüht hätte.
    »Ja, das kommt vor. Man muß aufpassen, aber prinzipiell … Du weißt ja selbst, wie schwer solche Kräfte zu haben sind. Da muß einer schon ein Liebhaber ganz absonderlicher Regungen sein, um …«
    »Da rührst du überhaupt an ein interessantes Problem«, sagte Stefan, der das Bedürfnis hatte, sich zu unterhalten,und zugleich einen Vorwand suchte, nicht in den Saal zurück zu müssen. Sie standen unter einem Flurfenster.
    »Die freie Berufswahl ist schon eine gute Sache«, fuhr er fort, »aber eigentlich garantiert nur das Gesetz der Masse die Besetzung sämtlicher gesellschaftlich wichtiger Fächer. Theoretisch zumindest ist es möglich, daß mehrere Jahre hindurch niemand, sagen wir, Schleusenräumer werden will … Und was dann? Zwang anwenden?«
    »Aber bisher hat das doch immer irgendwie funktioniert; eine solche automatische soziale Streuung versagt nie. Weißt du übrigens, daß du

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