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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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damit Pajpaks Lieblingsthema angeschnitten hast? Das muß ich ihm sagen. Er hält uns doch hin und wieder Vorträge. Denn wir bilden uns hier weiter und haben manchmal auch unseren Spaß dabei.« Staszek lächelte und entblößte seine nikotingelben Zähne. »Er meint, man könne von Glück reden, daß die Menschen so wenig intelligent seien … ›Lauter Universitätsprofessoren – das wäre entsetzlich, ich bitte Sie, Ko-Kollegen, wer würde dann Straßenkehrer sein?‹« intonierte Staszek unvermittelt, indem er die schwankende Greisenstimme recht sicher nachahmte.
    Aber Stefan wurde des Gesprächs bald überdrüssig.
    »Kommst du mit in den Saal? Ich will mir die Krankengeschichten auf mein Zimmer nehmen. Ich hoffe, das ist erlaubt; da hinten kann ich nicht arbeiten, die Tür im Rücken …«
    »Weshalb denn nicht?«
    Stefan mußte wohl oder übel Farbe bekennen. »Ich habe irgendwie das Gefühl, daß die durchs Schlüsselloch starren und mir ihre Blicke geradezu in den Rücken bohren.«
    »Kannst ja ein Handtuch vorhängen«, versetzte Staszek so ernsthaft und prompt, daß Stefan sich in der Gewißheit, jener habe einstmals das gleiche durchgemacht, ein wenig wohler fühlte.
    »Nein, ich möchte doch lieber …«
    Sie wandten sich dem Dienstzimmer zu. Auf dem Wege dahin mußten sie die drei Frauensäle nochmals durchqueren. Eine große Blondine mit verlebtem, verängstigtem Gesicht rief Stefan beiseite, nicht wie einen Arzt, sondern wie einen Fremden auf der Straße, den man um Hilfe bittet.
    »Ich sehe, Herr Doktor, Sie sind hier neu«, flüsterte sie, ängstliche Blicke um sich werfend. »Opfern Sie mir bitte fünf Minuten … oder wenigstens zwei …«, flehte sie. Trzyniecki sah zu Staszek hinüber der flau lächelnd mit seinem Gummihämmerchen spielte.
    »Herr Doktor … ich bin völlig normal!«
    Da Stefan aus der Theorie wußte, daß Dissimulation ein ziemlich häufiges Symptom für einige Geisteskrankheiten ist, ließ er sich nicht verblüffen.
    »Wir werden uns darüber unterhalten, wenn ich Visite mache.«
    »Ganz bestimmt, ja?« sagte die Patientin erfreut. »Ich sehe, Sie verstehen mich, Herr Doktor.« Sie näherte ihren Mund seinem Ohr. »Hier sind ja alle verrückt. Alle«, wiederholte sie mit Nachdruck.
    Diese Worte sowie das verständnisinnige Augenzwinkern, mit dem sie sie begleitete, machten ihn stutzig, denn wer sonst hätte in einem solchen Krankenhaus sein können? Als er neben Staszek weiterging, begriff er auf einmal: Sie hatte alle gemeint, die Ärzte eingeschlossen. Also auch die Nosilewska? Er versuchte Staszek ganz behutsam auszufragen, ob er die Ärztin für »eigenartig« halte, aber der lachte ihm glatt ins Gesicht.
    »Die? Dieses herrliche Weib?« Er begann eifrig zu schwärmen, wie hochbegabt sie sei und aus was für einer vornehmen Familie sie stamme – kurz, er war des Lobes voll. Den hat’s erwischt, dachte Stefan und betrachteteden Freund daraufhin mit anderen Augen: Er gewahrte einige nicht wegrasierte, schlüpfenden Würmchen gleichende Bartstoppeln auf seinem beweglichen Adamsapfel, häßliche Zähne, den Pickel in der Aufgangsphase und das Haar, das über der Stirn, wo noch unlängst ein üppiger schwarzglänzender Schopf gestanden hatte, so gelichtet war, daß es kaum einen schwarzen Schleier bildete.
    Er hatte keine Chancen … Damit hatte er ihn disqualifiziert.
    Selbst empfand Stefan kein besonderes Interesse für sie. Hübsch, sogar sehr hübsch, außergewöhnliche Augen, aber eigentlich nicht sympathisch.
    Unterwegs kam Staszek auf Sekulowski zu sprechen, und er beschloß, ihn Stefan vorzustellen.
    »Phantastisch intelligent, aber übergeschnappt, weißt du. Du kannst dich ausgezeichnet mit ihm unterhalten, darfst bloß nichts Dummes sagen. Benimm dich so, als wärt ihr in Gesellschaft, verstehst du? Er ist in solchen Dingen sehr feinfühlig.«
    »Ich will darauf achten«, versprach Stefan.
    Sie wandten sich von der Galerie zum Pavillon der Rekonvaleszenten. Der Himmel heiterte sich auf, der Wind riß große Löcher in die Wolkendecke. Riesige Nebelschwaden krochen dicht über den Bäumen dahin.
    Vor dem Pavillon karrte ein Mann in kurzer Joppe Erde. Ein Jude. Sein Teint war braun von Natur, nicht von der Sonne. Der Bart reichte ihm beinahe bis an die Augen.
    »Guten Tag, Herr Doktor«, sagte er zu Stefan, Staszek völlig ignorierend. »Kennen Sie mich nicht mehr? Ja, ich sehe, Sie haben mich vergessen.«
    »Ich weiß nicht recht …« Stefan blieb stehen und

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