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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Kohle, geschwärzt und bis an die Schläfen verlängert; vielleicht rief das den Eindruck des Wunderlichen hervor. Stefan hatte jedoch keine Zeit, die Patientin länger zu mustern, denn ihre ersten Worte verschlugen ihm den Atem. Sie wurde in gleichgültigem Ton gefragt, was es Neues gebe. Darauf lächelte die Kranke vieldeutig.
    »Ich hatte Besuch«, antwortete sie singend mit ihrer dünnen Stimme.
    »Na, und wer war denn bei Ihnen, Frau Zuzanna?«
    »Der Herr Jesus. Er ist in der Nacht gekommen.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Er kroch zu mir ins Bett und …« Sie gebrauchte die vulgärste Bezeichnung für sexuelle Beziehungen und blickte Stefan dabei neugierig an, als wollte sie sagen: Na, was meinst du dazu?
    Stefan saß wie erschlagen, obwohl er doch nun Arzt war, und schämte sich in Grund und Boden. Dr. Nosilewska zog indes ein kleines Etui aus der Tasche, bot ihm eine Zigarette an, nahm selbst eine und begann die Kranke nach Einzelheiten auszufragen. Die waren so haarsträubend, daß Stefan die Hände zitterten, als er der Kollegin Feuer reichte. Er zerbrach drei Zündhölzer. Er empfand beinahe körperlichen Schmerz, als Dr. Nosilewska ihn bat, die Reflexe zu prüfen, was er recht ungeschickt ausführte. Dann packte die Pflegerin, die die ganze Zeit hindurchvöllig unbeteiligt danebengestanden hatte, die Patientin am Arm, schleppte sie wie ein Wäschepaket hinter sich her und führte sie mitten im Satz hinaus.
    »Paranoia«, meinte die Ärztin, »hat oft Halluzinationen. Sie brauchen natürlich nicht alles zu notieren, aber einige Worte wären vielleicht doch angebracht.«
    Die nächste Patientin, eine dicke, rothaarige alte Frau mit schwammigem Gesicht, vollführte Hunderte von halben Bewegungen, als wollte sie mit der Wärterin ringen, die sie hinten an den Schößen des Morgenrocks hielt. Sie schwatzte ohne Unterlaß; ihr chaotisch und sinnlos aneinandergereihtes Geschwafel prasselte auch dann munter fort, wenn man ihr Fragen stellte. Mit einemmal versuchte sie sich loszureißen. Stefan wollte unwillkürlich mit seinem Stuhl zurückweichen. Dr. Nosilewska befahl, die Patientin hinauszuführen.
    Die dritte war ein wahrer Auswurf der Menschheit. Sie strömte einen stark süßlichen Geruch aus. Stefan mußte alle Kräfte aufbieten, um sitzen zu bleiben. An der langen, abgezehrten Gestalt war das Geschlecht nur mit Mühe zu erraten. Durch die Löcher in ihrem Morgenrock schimmerte bläulich die Haut der Schultergelenke. Das Gesicht war groß und knochig, stumpf wie bei einer Puppe. Dr. Nosilewska sagte etwas zu der Patientin, was Stefan nicht verstand. Wie sie hereingekommen war, in steifer Haltung, den Arm in die Hüfte gestemmt, begann die Patientin statt jeder Antwort: »Menin aeide thea …«
    Sie deklamierte die »Ilias« und hielt dabei ganz vorschriftsmäßig die Zäsuren des Hexameters ein.
    Als die Pflegerin sie hinausgeführt hatte, erläuterte Dr. Nosilewska: »Sie ist Doktor der Philosophie. Eine Zeitlang war sie im Stadium der Katatonie. Ich habe sie Ihnen absichtlich gezeigt: ein Fall, wie er im Buche steht: ein vorzüglich konserviertes Gedächtnis.«
    »Aber wie sieht sie aus!« entfuhr es Stefan.
    »Nehmen Sie es uns nicht übel. Sie könnte ja saubere Sachen bekommen, aber in wenigen Stunden würden sie genauso aussehen. Es ist einfach unmöglich, für jeden Koprophagen eine Pflegerin anzustellen, überhaupt in diesen Zeiten … So, ich gehe jetzt zur Apotheke, und Sie sind so freundlich und füllen die Krankenblätter aus. Sie wissen schon wie, und dann tragen Sie die Nummer und das Datum ins Buch ein. Das ist nun mal so eine administrative Formalität, die wir leider selbst erledigen müssen.«
    Stefan brannte die Frage auf den Lippen, ob man hier solche Scheußlichkeiten, wie sie die erste Patientin vorgebracht hatte, des öfteren zu hören bekomme – aber er schwieg, weil er dadurch seine völlige Unwissenheit zugegeben hätte. So machte er sich daran, mit den Papieren zu rascheln. Die Ärztin verließ das Zimmer. Als Stefan fertig war, mußte er seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um in den Saal hinauszugehen. Dort spazierten mehrere Frauen auf und ab. Einige schmückten sich immer wieder von neuem mit Papierfetzen, Lumpen und Schnüren. In einer Ecke stand ein leeres Bett; Deckennetz und Seitennetze waren festgebunden. Stefan drückte sich hart an der Wand vorbei – er bemühte sich instinktiv, den Kranken nicht den Rücken zuzukehren –, da hörte er von der Seite her ein

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