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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ein unfaßbarer Abgrund lauert. Er ist ganz bestimmt da, aber jeder Versuch, sich bis zu ihm vorzutasten, endet mit einem Fiasko. Und meine Angst …«
    Er hielt inne und schöpfte Atem.
    »Jedesmal glaube ich, es sei das letzte Wort und ich komme nicht weiter. Sie werden mich natürlich nicht verstehen. Sie können mich auch gar nicht verstehen. Die Angst, daß es das letzte Wort ist, wie soll ich’s erklären? Das wälzt sich aus mir hervor wie Wasser unter der Türschwelle bei einer Überschwemmung. Ich weiß nicht, was danach kommt. Ich weiß nie, ob es nicht die letzte Woge ist. Ich habe keine Gewalt über die Kraft meiner Quellen. Sie liegen so sehr in mir, daß sie sich schon außerhalb meiner befinden. Und da verlangen Sie, ich soll ›Stellung beziehen‹ …? Ich trage immer meine Fesseln in mir. Frei kann ich nur in meinen Gestalten sein, und auch das ist eine Illusion. Für wen soll ich schreiben? Der Höhlenmensch ist nicht mehr, der dampfendes Hirn aus den Schädeln seiner Nächsten fraß und mit deren Blut unnachahmliche Kunstwerke an Felswänden schuf. Vorüber ist die Zeit der Renaissance, der genialen Universalmenschen und der Scheiterhaufen voll winselnder Ketzer. Dahin die Horden, die sich Wind und Ozeane gefügig machten. Es naht die Epoche der kasernierten Zwerge, der Musikkonserven, der Stahlhelme, unter denen man nicht mehr zu den Sternen aufschauen kann. Und dann, heißt es, werden Freiheit und Gleichheit Einzug halten. Wozu Gleichheit, wozu Freiheit? Wenn doch gerade der Mangel an Gleichheit herrliche Visionen entfacht und die Feuersbrunst der Verzweiflung sät, wenn doch das Grauen imstande ist, aus den Menschen etwas herauszupressen, was wertvoller ist als schnödes Wohlbehagen. Ich will nicht auf diesen kolossalen Spannungsunterschied verzichten. Hinge es von mir ab, dann blieben Paläste, Hütten und Festungen immer bestehen!«
    »Ich hörte einmal«, sagte Stefan, »von einem russischen Fürsten, der eine sehr empfindsame Seele besaß. Vonseinem Palais, das auf einem Hügel über dem Dorfe stand, genoß man eine wundervolle Aussicht. Lediglich einige strohgedeckte Katen in nächster Nähe verdarben ihm die Farbkomposition. So ließ er die Hütten niederbrennen, und die Flecke der verkohlten Dachsparren ergaben den gesuchten Akzent. Jetzt hatte er das Bild nach seinem Geschmack.«
    »Damit können Sie mir nicht imponieren«, entgegnete Sekulowski. »Laßt uns für die Massen arbeiten, wie? Ich bin kein Mephisto, werter Doktor, aber ich liebe es, jede Sache zu Ende zu denken. Philanthropie? Zur Wohltätigkeit sind Diplomjungfrauen mit vertrocknenden Hormonen geeignet, und was die Revolutionstheorien betrifft, so bleibt den Proleten keine Zeit für derartiges. Damit haben sich schon immer die Schmarotzerrenegaten befaßt. Den Menschen geht es übrigens immer schlecht. Wer Frieden, Stille und Milde sucht, wird sie gewiß auf dem Kirchhof, nicht aber im Leben finden. Und dann, wozu die Abstraktion? Ich bin selbst in solchem Elend aufgewachsen, wie Sie es sich gar nicht vorstellen können, Doktor. Wissen Sie, daß ich mit drei Monaten meine erste Anstellung hatte? Meine Mutter lieh mich einer Bettlerin aus, weil eine Frau mit Kind mehr Almosen bekam. Mit acht Jahren trieb ich mich abends vor einem Nachtlokal herum und suchte mir in der eleganten Menge das schönste Paar heraus. Ich folgte ihm auf Schritt und Tritt und spie, was ich nur konnte, auf diese Seehunds-, Biber- und Bisampelze, die nach Parfüm und Frau dufteten, bis mir die Kehle austrocknete … Und was ich erreicht habe, das mußte ich mir selbst erkämpfen. Wer wirklich begabt ist, der wird immer hochkommen.«
    »Und die anderen sollen der Dünger für das Genie sein?« Stefan dachte zuweilen ähnlich, und so war es, als stritte er mit sich selbst. Er hatte ganz vergessen, daß er vorsichtigsein mußte, denn in gereiztem Zustand konnte der Dichter ordinär werden.
    »Na, wissen Sie …« Sekulowski stützte seine Ellenbogen ins Gras und lachte verächtlich, den Blick zu den flammenden Wolken gehoben. »Sie ziehen also vor, Dünger für die kommenden Geschlechter zu sein? Mit Ihren Gebeinen die Fundamente für utopische Glashäuser zu legen? Verschonen Sie mich damit, Doktor: Für mich gibt es nichts Unerträglicheres als Langeweile.«
    Stefan fühlte sich verletzt. »Und die Razzien in Warschau, die Massendeportationen nach Deutschland zum Beispiel kümmern Sie gar nicht? Beabsichtigen Sie, dorthin zurückzugehen, wenn Sie uns

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