Das Hospital der Verklärung.
Staub aufgewirbelt … Der Inhalt? … Na, ganz allgemein … eben Betrachtungen. Angeblich über alles mögliche, am meisten jedoch über den Kommunismus. Die Linke fiel über ihn her … Das war eine gute Reklame für ihn; von da an konnte man ihn überall treffen.«
Stefan hatte den Kopf gesenkt und starrte auf seine Nägel.
Frau Amelia merkte, daß sie zu weit gegangen war. »Ich selbst kann mich natürlich nicht daran erinnern. Damals war ich ja noch ein Kind. Erst später hörte ich davon. Aber seine Gedichte habe ich immer gern gelesen.«
Sie zeigte Stefan ein Gedichtbändchen. Dabei stieß sie ein anderes herunter, ein sehr schmales Büchlein in überaus biegsamem, hellem Einband. Stefan stürzte hilfsbereit hinzu und hob es auf.
»Ein schöner Einband, nicht wahr?« fragte Kautersund wies mit dem Finger darauf. »Eine Rarität. Innenhaut von Frauenschenkeln.«
Da Stefan seine Hand heftiger zurückzog, als es die Höflichkeit zuließ, nahm Kauters das Buch an sich.
»Mein Mann ist ein komischer Kauz«, sagte Frau Amelia, »aber fühlen Sie doch, wie weich das ist.«
Stefan murmelte etwas und warf sich schweißgebadet in seinen Sessel.
Diese Häufung von Absonderlichkeiten, dachte er, sei eine Art Paraphrase der menschlichen Zustände, die in den Pavillons eingeschlossen waren. Den Mutationen von Blumen gleich, die unter künstlichen Bedingungen gehalten werden, keimt in einem Menschen, der nicht auf dem Beet eines Stadthauses aufwächst, das Außergewöhnliche. Doch dann berichtigte er sich: Vielleicht hatte Kauters die Stadt gemieden, weil er anders geartet war, und hatte sich deshalb diese düster-violette Umgebung geschaffen.
Frau Amelia hob beim Sprechen ihre große Hand und berührte mit geschmeidiger Gebärde unbewußt den Augen- oder den Mundwinkel. Beim Abschied bemerkte Stefan hinter einem kleinen Wandschirm ein Aquarium. Es war ein bauchiger Glaskolben, der in allen Farben des Regenbogens schillerte. Darin schwamm ein kleiner Goldfisch, den grünlichen Bauch nach oben gekehrt – er war offensichtlich tot. Dieses Bild trug Stefan mit sich. Er fühlte sich so matt, als hätte er eine schwere geistige Arbeit geleistet. Anfangs wollte er gar nicht zum Abendessen hinaufgehen, doch weil er befürchtete, das würde gerade auffallen, zwang er sich dazu. Dr. Nosilewska verhielt sich wie immer bei Tisch: etwas schläfrig, höflich, mit dem seltenen, dafür um so kostbareren Lächeln auf den Lippen. Staszek verschlang sie mit den Augen; Dummkopf – er dachte wohl, das merkte keiner.
In der Nacht wälzte sich Stefan lange schlaflos, schließlich nahm er Luminal. Dann träumte er von Frau Kauters: Sie trug tote Fische im Korb und verteilte sie an die umherstehenden Ärzte. Als er an der Reihe sein sollte, wachte er mit Herzklopfen auf und konnte bis zum Morgen nicht wieder einschlafen.
Sekulowski war gar nicht beleidigt; er ließ durch Staszek bitten, Trzyniecki möge am Vormittag bei ihm vorbeikommen. Stefan ging gleich nach dem Frühstück hin. Er behandelte den Dichter jetzt anders als zu Anfang: Er unterließ es, ihm gewissermaßen mit Worten auf die Schulter zu klopfen, hielt sich selbst nicht mehr für überlegen. Manchmal versuchte er noch, ihn zu verurteilen, tadelte seine Ideen, aber andererseits brauchte er sie wie einen Halt.
Sekulowski saß am Fenster, über eine große Fotografie gebeugt, die einen Saal von ungeniert plaudernder Menschen zeigte.
»Schauen Sie sich die Gesichter an«, sagte er, »diese typisch amerikanischen Schnauzen. Wie selbstzufrieden das ist, eingeteilt in Mittagessen, Abendbrot, Bett und Subway. Keinen einzigen Augenblick übrig für Metaphysik, für das Verständnis der Grausamkeit der Dinge. Fürwahr, der alte Kontinent ist anscheinend besonders prädestiniert: Wir haben ewig zwischen mehr oder weniger ehrbaren Arten von Qualen zu wählen.«
Stefan berichtete über seinen Besuch bei Kauters. Er war sich bewußt, daß er gegen ein ungeschriebenes Krankenhausgesetz verstieß, wenn er mit Sekulowski über einen Kollegen sprach, aber er fand eine Rechtfertigung vor sich selbst: Sie stünden ja beide darüber. Was Kauters über Sekulowski geäußert hatte, blieb natürlich ungesagt.
»Reden Sie keinen Unsinn«, meinte der Dichter gutmütig. »Was heißt Häßlichkeit? In der Kunst kann etwas gutoder schlecht gemacht sein, weiter nichts. Van Gogh malt Ihnen einen alten Nachttopf hin, daß es eine Freude ist. Dagegen wird ein Pfuscher aus dem schönsten Weib Kitsch
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