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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verlassen?«
    »Warum sollen mich Razzien mehr kümmern als der Tatareneinbruch im dreizehnten Jahrhundert? Etwa weil ich zufällig in dieser Zeit lebe?«
    »Sie sollten es lieber lassen, mit der Geschichte zu streiten – sie behält immer recht. Sie wollen doch wohl keine Vogel-Strauß-Politik betreiben?«
    »Freilich bleibt die Geschichte Sieger, das ist das Recht des Stärkeren«, entgegnete der Dichter. »Gewiß, auch wenn ich für mich eine ganze Welt bedeute, bin ich nur ein Staubkörnchen in der Lawine der Ereignisse. Deshalb kann mich noch lange nichts veranlassen, wie ein Staubkorn zu argumentieren!«
    »Wissen Sie, daß die Deutschen heute die These von der Liquidierung aller Geisteskranken verfechten?«
    »Ich glaube, auf der Welt leben an die zwanzig Millionen Verrückte. Man brauchte also nur die Parole vom Zusammenschluß auszugeben, und der heilige Krieg wäre im Gange«, sagte Sekulowski und legte sich auf den Rücken. Die Sonne brannte immer heißer. Stefan merkte, daß der Dichter im Begriff war, ihm zu entwischen, und versuchte ihn festzunageln. »Ich begreife Sie nicht. Bei unseremersten Gespräch redeten Sie doch von der Kunst zu sterben.«
    Das verdarb Sekulowski ganz offensichtlich die gute Laune. »Wo ist hier ein Widerspruch? Die Freiheit eines Staates geht mich nichts an. Wichtig ist mir nur die innere Freiheit.«
    »Sie sind also der Meinung, daß das Schicksal anderer Menschen nichts …«
    Sekulowski sprang auf mit zuckendem Gesicht. »Du Rindvieh!« schrie er. »Du Lümmel!«
    In großen Sätzen lief er bergab. Stefan, im höchsten Grade verwirrt, eilte mit hochrotem Kopf hinterher. Der Dichter riß sich los und brüllte: »Eitler Narr!«
    Kurz vor dem Sanatorium beruhigte sich Sekulowski und sagte noch, den Blick auf die Mauer geheftet: »Doktor, Sie sind schlecht erzogen, um nicht zu sagen ordinär, da Sie sich unablässig bemühen, mich zu verletzen.«
    Stefan kochte vor Wut, aber er täuschte den Arzt vor, der seinem Patienten eine Ausschreitung nachsieht.
    Drei Wochen später zog Stefan Trzyniecki in die Station Kauters um. Zuvor stattete er seinem neuen Vorgesetzten einen Antrittsbesuch ab. Der Chirurg öffnete ihm in einer weiten blauen Hausjacke mit silbernen Tressen. Vom dunklen Vorraum bis ins Zimmer stammelte Stefan seine Entschuldigungen, dann verstummte er entgeistert.
    Sein erster Eindruck war: Bronze, durchsetzt mit Schwarz und flimmerndem Violett. Von der Decke hingen gewissermaßen Rosenkränze aus trockenen, leicht gefärbten Schuppen, den Fußboden bedeckte ein schwarzorange Smyrnateppich mit Gondeln, Flammenzungen oder Salamandern. Die Wände verschwanden hinter Kupferstichen, schwarz eingerahmten Bildern und Schränken, schmalwie Hauskapellen, mit Büffelhörnerfüßen und irisierenden Scheiben.
    Gleich neben ihm ragte wie ein Messer aus der Scheide ein zähnefletschender Krokodilsrachen aus der Wand, sozusagen eine holzgewordene Raubtierpflanze. Der Tisch sehr niedrig, mit einer neuneckigen Platte aus geschliffenem Glas, darunter eine Intarsia bernsteingelber und brauner Phantasieblumen. Zu beiden Seiten der Tür standen Bücherschränke; die Bücher, ledereingebundene, vor Alter schon bemooste Ausgaben mit Goldschnitt, waren lässig auf die Regale geworfen. Riesige Atlanten, graue Alben, blutrote und papageiengrüne Buchrücken blickten bunt durcheinander hinter Nippes hervor.
    Kauters ließ seinen Gast Platz nehmen. Stefans Augen schweiften unbewußt zwischen den japanischen Holzschnitten, den altindischen Figuren und den blinkenden Porzellannippessachen umher, während Kauters seine Freude über Stefans Besuch äußerte und ihn bat, doch von sich zu erzählen, da sie ja einander kennenlernen müßten. In dieser Einöde hätte man so selten Gelegenheit, mit intelligenten Menschen zusammenzukommen. Ob er sich spezialisieren wolle?
    Stefan murmelte eine Antwort durch die Zähne. Mit Wohlbehagen fuhr seine Hand durch die Fransen des Seidenüberzuges an den Lehnen seines Sessels, eines wahren aerodynamischen Kolosses, der mit raschelndem Leder bespannt war. Allmählich begann er sich zu orientieren. Am Fenster hatte der Chirurg offensichtlich seinen Arbeitsplatz eingerichtet. Über dem immensen Schreibtisch hingen Reproduktionen und Gipsmasken. Mehrere davon kannte Stefan. Dort war zum Beispiel die Ikonographie eines Kretins zu sehen: Auf schneckenhaft schmiegsamem Leib saß ein Kopf ohne Hals mit Froschaugen und halboffenem Mund, den eine regenwurmähnliche Zunge

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